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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb
Autoren: Terry Pratchett
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Bis ich etwas
    anderes sage.«
    »Wirklich? Keks ! Nun, dann darf er eintreten. Und du ebenfalls, Lu-Tze.«
    »Aber ich wollte doch nur…«, protestierte Lobsang.
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    »Hinein mit dir!«, donnerte Lu-Tze. »Willst du Schande über mich
    bringen? Sollen die Leute glauben, ich hätte dich überhaupt nichts
    gelehrt?«
    Das Innere des Dojos erwies sich als dunkle Kuppel voller Spitzen. Sie waren nadeldünn und ragten aus den Wänden.
    »Warum sollte man so etwas bauen?«, fragte Lobsang und sah zu den
    glänzenden Spitzen auf, die sogar aus der Decke ragten.
    »Dieser Ort lehrt die Tugenden von List und Disziplin«, sagte Lu-Tze und ließ die Fingerknöchel knacken. »Ungestüm und Geschwindigkeit
    können für den Angreifer ebenso gefährlich sein wie für den
    Angegriffenen, wie du vielleicht lernen wirst. Eine Bedingung: Hier sind wir nur Menschen. Einverstanden?«
    »Natürlich, Kehrer. Hier sind wir nur Menschen.«
    »Und sollen wir uns auch auf dies einigen: keine Tricks?«
    »Keine Tricks«, sagte Lobsang. »Aber…«
    »Sind wir hier, um zu kämpfen oder um zu reden?«
    »Aber, hör mal, wenn nur einer das Dojo verlassen kann… Es
    bedeutet, dass ich dich töten muss…«
    »Oder umgekehrt«, meinte Lu-Tze. »So lautet die Regel. Können wir
    jetzt anfangen?«
    »Aber das wusste ich nicht!«
    »Manchmal ist es im Leben wie mit Frühstücks-Zerealien: Man sollte
    die Hinweise auf der Packung lesen«, sagte Lu-Tze. »Dies ist das Eiserne Dojo, Wunderknabe!«
    Er trat zurück und verbeugte sich.
    Lobsang zuckte mit den Schultern und verbeugte sich ebenfalls.
    Lu-Tze wich noch einige weitere Schritte zurück, schloss kurz die
    Augen und begann dann mit einigen Lockerungsübungen. Lobsang
    verzog das Gesicht, als er Gelenke knacken hörte.
    Kurz darauf klackte es mehrmals, und erneut dachte Lobsang an die
    Knochen des Alten. Doch die Geräusche kamen von kleinen Klappen,
    die sich überall in den gewölbten Wänden öffneten. Flüsternde Stimmen erklangen, als sich Zuschauer zusammendrängten. Es schienen ziemlich 356

    viele zu sein.
    Er streckte die Hände aus und stieg langsam auf.
    »Wollten wir nicht auf Tricks verzichten?«, fragte Lu-Tze.
    »Ja, Kehrer«, sagte Lobsang, während er mitten in der Luft schwebte.
    »Aber dann dachte ich: Vergiss nie Regel Eins.«
    »Aha! Bravo. Du lernst!«
    Lobsang glitt näher. »Du ahnst nicht, was ich seit unserer letzten
    Begegnung gesehen habe«, sagte er. »Es gibt keine geeigneten Worte, um es zu beschreiben. Welten, die innerhalb von Welten ruhen, wie die
    kleinen Puppen, die man in Überwald schnitzt. Ich habe die Musik der Jahre gehört. Ich weiß mehr, als ich jemals verstehen kann. Doch die fünfte Überraschung kenne ich nicht. Ist sie ein Trick, ein Rätsel… eine Prüfung?«
    »Alles ist eine Prüfung«, sagte Lu-Tze.
    »Dann zeig mir die fünfte Überraschung, und ich verspreche, dir kein Leid zuzufügen.«
    »Du versprichst, mir kein Leid zuzufügen?«
    »Ja, das verspreche ich«, erwiderte Lobsang mit feierlichem Ernst.
    »Gut. Du brauchtest nur zu fragen:« Lu-Tzes Lächeln wuchs in die
    Breite.
    »Was? Ich habe gefragt, und du hast mir keine Auskunft gegeben!«
    »Du brauchtest nur zum richtigen Zeitpunkt zu fragen, Wunderknabe.«
    »Und ist dies der richtige Zeitpunkt?«
    »Es steht geschrieben ›Was du heute kannst besorgen, das verschiebe
    nicht auf morgen‹«, sagte Lu-Tze. »Sieh nun die fünfte Überraschung!«
    Er griff in eine Tasche seiner Kutte.
    Lobsang schwebte näher.
    Der Kehrer holte eine billige Karnevalsmaske hervor. Sie bestand aus einer falschen Brille, die auf einer großen, rosaroten Nase festgeklebt war. Den krönenden Abschluss bildete ein schwarzer Schnurrbart.
    Er setzte sie auf und wackelte ein- oder zweimal mit den Ohren.
    »Buh«, sagte er.
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    »Was?«, brachte Lobsang verwirrt hervor.
    »Buh«, wiederholte Lu-Tze. »Ich habe nie behauptet, dass die fünfte
    Überraschung besonders einfallsreich ist.«
    Erneut wackelte er mit den Ohren, dann auch mit den Augenbrauen.
    »Gut, nicht wahr?«, fragte er und grinste.
    Lobsang lachte. Lu-Tze grinste noch etwas mehr, woraufhin Lobsang
    noch etwas lauter lachte und auf die Matte sank.
    Die Hiebe kamen aus dem Nichts, trafen Lobsang in der Magengrube,
    am Nacken, am verlängerten Rücken und rissen ihn von den Beinen. Er
    landete auf dem Bauch, und Lu-Tze hielt ihn in der Grätsche des Fisches fest. Aus dieser Position konnte man sich nur befreien, wenn man bereit war, sich die
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