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Der Zauberhut

Der Zauberhut

Titel: Der Zauberhut
Autoren: Terry Pratchett
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verschwinden!«
    »Uff!«
Rincewind rollte mit den Augen. »Wenn du mich begleitest, gebe ich dir einen aus«, sagte er verzweifelt.
Der Bibliothekar entfaltete sich wie eine vierbeinige Spinne. »Uff?«
    Rincewind zog den Affen unterm Tisch hervor und durch die Tür. Er entschied sich gegen das Haupttor der Universität, lief statt dessen zu einer eigentlich völlig normal wirkenden Wand: Einige lose Mauersteine gaben den Studenten seit zweitausend Jahren die Möglichkeit, nach dem magischen Zapfenstreich zurückzukehren, ohne von ihren Lehrern erwischt zu werden.
    Nach einigen Metern blieb Rincewind so plötzlich stehen, daß der Bibliothekar gegen ihn stieß und Truhe auf sie beide prallte.
»Uff!«
    »Bei allen Göttern!« entfuhr es dem Zauberer. »Sieh dir das an!«
    »Uff?«
Eine schwarze Flut strömte aus einem Abflußgitter in der Nähe des Küchenbereichs. Frühes Sternenlicht spiegelte sich auf Millionen von kleinen schwarzen Rücken wider.
    Aber es waren nicht die Kakerlaken an sich, die Rincewind so sehr verwirrten. Vielmehr galt sein bestürztes Erstaunen der Tatsache, daß sie im Gleichschritt marschierten, jeweils hundert nebeneinander. Natürlich hatten sich die Insekten durch das starke magische Feld ebenso verändert wie alle anderen inoffiziellen Bewohner der Universität, doch Milliarden von winzigen Beinen, die sich genau im Takt bewegten, verursachten ein außerordentlich beunruhigend klingendes Geräusch.
    Rincewind trat vorsichtig an der Marschkolonne vorbei, während der Bibliothekar mit einem Satz darüber hinwegsprang.
Truhe allerdings… Als sie ihnen folgte, klang es so, als tanze jemand auf Kartoffelchips.
    Woraufhin Rincewind beschloß, das Universitätsgelände doch durchs Haupttor zu verlassen. Eine schmale Lücke in der Mauer bot Truhe sicher nicht genug Platz, und mit ihrem ausgeprägten Taktgefühl wäre sie vermutlich einfach durch die Wand gerannt. Der Zauberer und seine beiden Begleiter schlossen sich den übrigen Flüchtlingen an, den Insekten und ängstlichen Nagetieren. Einige Biere, so glaubte er, würden es ihm erlauben, alles aus einer anderen Perspektive zu sehen, und wenn sie nicht genügten, brauchte er sein leeres Glas nur unter den Zapfhahn zu halten. Ein Versuch konnte sicher nicht schaden.
    So kam es, daß Rincewind im Großen Saal fehlte, als das Festessen begann. Wie sich herausstellte, war es die wichtigste verpaßte Mahlzeit in seinem Leben.

    A n einer Stelle des langen Außenwalls klirrte es leise, als sich ein Dregghaken an den stählernen Zacken auf der Mauer verfing. Einige Sekunden später sprang eine schlanke, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt auf den Universitätshof, eilte lautlos zum Großen Saal und verschmolz mit den Schatten.
    Niemand bemerkte den Eindringling.
    Auf der anderen Seite des Hofes näherte sich der Kreative Magus dem Tor. Wo seine Stiefel das Kopfsteinpflaster berührten, knisterten blaue Funken und verdunstete der Tau des frühen Abends.

    E s war nicht etwa warm, sondern heiß. Wirklich heiß. Der große Kamin am drehwärtigen Ende des Großen Saals glühte praktisch. Zauberer reagieren sehr empfindlich auf Kälte, und die Anwesenden wollten in dieser Hinsicht nicht das geringste Risiko eingehen. Die enorme Hitze der lodernden Flammen schmolz alle Kerzen im Umkreis von sechs Metern, und im Lack auf den langen Tischen bildeten sich Blasen. Blauer Tabakrauch ballte sich zu dichten Wolken zusammen und gewann seltsame Formen, wenn er auf kurzlebige Felder von Zufallsmagie stieß. Auf dem mittleren Tisch ärgerten sich die Reste eines gebratenen Schweins darüber, daß es jemand geschlachtet hatte, bevor es Gelegenheit bekam, seinen letzten Apfel zu fressen. Nur eine ölig glänzende Lache erinnerte an das Butter-Modell der Universität.
    Bier floß in Strömen. Die meisten Wangen glänzten rot, und hier und dort sangen einige Zauberer traditionelle Trinklieder, bei denen es in erster Linie darauf anzukommen schien, sich immerzu auf die Knie zu klopfen und dauernd »Ho!« zu rufen. Als Entschuldigung für dieses Verhalten mag angeführt werden, daß Magier zum Zölibat verpflichtet sind und sich daher auf andere Art und Weise abreagieren müssen.
    Ein weiterer Grund für die unbeschwerte Heiterkeit bestand darin, daß niemand versuchte, irgendwen umzubringen – ein in magischen Kreisen höchst ungewöhnlicher Zustand.
    Die höheren Stufen der Thaumaturgie bringen enorme Gefahren mit sich. Jeder Zauberer versucht, den Platz eines
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