Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberhut

Der Zauberhut

Titel: Der Zauberhut
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
drahtig, erweckte den Anschein, als sei er irgendwann einmal ein Pferd gewesen, dem die Reinkarnation als Mensch gelang. Wer ihm begegnete, gewann den Eindruck, von Zähnen angestarrt zu werden.
    »Wir sinken?« wiederholte er.
»Ja. Alle Ratten fliehen!«
Der Quästor holte tief Luft.
»Komm herein«, sagte er freundlich. Rincewind folgte ihm in einen niedrigen, dunklen Raum, trat zusammen mit Spelzdinkel ans Fenster heran. Es gewährte einen ungehinderten Blick über den Garten bis hin zum Fluß, der seine stinkende Last friedlich zum Meer trug.
    »Du hast es nicht etwa, hm, übertrieben, oder?« fragte der Quästor. »Was soll ich übertrieben haben?« erwiderte Rincewind schuldbewußt.
    »Weißt du, dies ist ein Gebäude«, sagte Spelzdinkel und drehte sich eine Zigarette – das typische Verhalten eines Zauberers, der sich mit einem Rätsel konfrontiert sieht. »Einige Hinweise sprechen deutlich dafür, daß wir uns nicht in einem Schiff befinden. Zum Beispiel halte ich vergeblich nach Delphinen Ausschau, die fröhlich vor dem Bug tollen, und es fehlt auch das übliche Leckwasser. Mit anderen Worten: Es besteht eine nur sehr geringe Wahrscheinlichkeit dafür, daß wir sinken. Andernfalls müßten wir, hm, in die Rettungsboote klettern und zum Ufer rudern. Hm?«
    »Aber die Ratten…«
    »Eine Art, hm, Frühlingsritual. Vielleicht ist gerade ein Weizenfrachter im Hafen vor Anker gegangen.«
    »Außerdem habe ich gespürt, wie die Universität erzitterte«, fügte Rincewind ein wenig unsicher hinzu. Verwirrt sah er sich im Zimmer um. Die Wände waren beruhigend massiv, und das Feuer im Kamin knisterte vorlaut, wirkte überhaupt nicht eingeschüchtert. Alles schien in bester Ordnung zu sein.
    »Ein kurzes Beben, weiter nichts. Vermutlich hatte Groß-A’Tuin einen, hm, Schluckauf. Du solltest dich, hm, zusammenreißen. Hast du vielleicht etwas getrunken?«
    »Nein!«
    »Hm. Möchtest du einen Schluck?«
    Spelzdinkel schlenderte zu einem dunklen Eichenschrank, griff nach einer Karaffe und füllte zwei Gläser.
    »Um diese Jahreszeit ziehe ich Sherry vor«, sagte der Quästor und deutete auf die Gläser. »Wie magst du ihn lieber – trocken oder, hm, süß?«
    »Hm, danke«, entgegnete Rincewind. »Bestimmt hast du recht. Ich sollte mich ein wenig ausruhen.«
    »Gute Idee.«
    Rincewind verließ die Kammer und wanderte durch kühle, steinerne Flure. Ab und zu berührte er eine Wand, horchte und schüttelte den Kopf.
    Als er erneut den Innenhof überquerte, bemerkte er Dutzende von Mäusen, die an einem Balkon vorbeiliefen und in Richtung Fluß hasteten. Der Boden unter ihnen schien sich ebenfalls zu bewegen. Er sah genauer hin und stellte fest, daß die Mäuse über die Chitinrücken von Myriaden Ameisen liefen.
    Selbstverständlich handelte es sich nicht um gewöhnliche Ameisen. Das jahrhundertelange Tröpfeln von magischer Energie in den Mauern der Unsichtbaren Universität zeigte deutliche Wirkung. Einige Exemplare der Gattung Formicoidea zogen winzige Karren, während andere auf abgerichteten Käfern ritten. Und sie alle machten sich so schnell wie möglich aus dem Staub – ein rotbraunes Heer, das vor einem unbekannten Feind die Flucht ergriff. Ein sonderbarer Wind schien das Gras auf dem Platz zu erfassen, als die Ameisenstreitmacht abrückte.
    Rincewind hob den Kopf, als eine alte, gestreifte Matratze durch eins der oberen Fenster geschoben wurde und aufs Pflaster herabfiel. Nach einer kurzen Pause – wahrscheinlich schöpfte sie Atem – stemmte sie sich ein wenig in die Höhe, marschierte zielstrebig über den Rasen und hielt genau auf den Zauberer zu, der im letzten Augenblick zur Seite sprang. Er vernahm ein fast schrilles Zirpen, und sein verblüffter Blick fiel auf Tausende von entschlossenen Beinen unter dem dicken Stoff. Selbst die Wanzen machten sich auf und davon, und da sie nicht wußten, ob sie woanders eine ebenso komfortable Unterkunft fanden, beschlossen sie, auf Nummer Sicher zu gehen. Eine von ihnen winkte und quiekte einen Gruß.
    Rincewind wich zurück, bis etwas seinen Rücken berührte und ihn erstarren ließ. Er wandte sich um, sah eine steinerne Bank und beobachtete sie argwöhnisch. Als er sicher sein konnte, daß sie nicht die geringste Absicht hatte, ebenfalls zu fliehen, seufzte er leise und nahm Platz.
    Bestimmt gibt es für all das eine ganz natürliche Erklärung, dachte er. Oder eine völlig normale übernatürliche.
Er hörte ein dumpfes Knirschen und drehte den Kopf.
    Dafür
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher