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Der Zauber ferner Tage

Der Zauber ferner Tage

Titel: Der Zauber ferner Tage
Autoren: Kate Lord Brown
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wünsche mir mehr Zeit!«, rief sie in die Nacht. Sie streckte die Arme dem Himmel entgegen. Ihr weißes Seidentuch bauschte sich auf wie ein Flügel, und sie rannte. Sie rannte und sprang.
    Libertys Knöchel waren weiß, als sie die Armlehnen umfasste. Das Champagnerglas neben ihr wackelte, während das Flugzeug sich über die Startbahn erhob. Sie schloss die Augen und versuchte sich abzulenken, indem sie an die letzten Minuten zurückdachte, die sie mit John verbracht hatte.
    »Immer noch Flugangst?«, hatte er beim Abfluggate gefragt.
    »Ja.«
    »Aber es hat dich nie daran gehindert zu reisen, oder? Das mag ich so an dir.«
    Er hatte sie in die Arme genommen, wobei das Rosentuch mit den Fransen ihr unbemerkt von den Schultern gerutscht war.
    »Ich liebe dich, Liberty.«
    »Ich liebe dich auch. Und werde es immer tun.«
    »Lass mich bleiben …«
    »Nein«, sagte sie. Sie legte den Kopf an seine Schulter, atmete seinen beruhigenden Duft ein letztes Mal ein. »Bitte. Lass mich gehen.«
    Eine alte Frau mit einem Schönheitsfleck zwischen den Brauen lief am Arm eines großen, gut gekleideten Mannes vorbei. Liberty schnappte einen Teil ihres Gesprächs auf, versuchte, ihrem schnellen Spanisch zu folgen.
    »Luca«, sagte die alte Dame, »wir dürfen nicht zu spät kommen, Paloma und Olivier sind …«
    »Perdón«, unterbrach sie der Mann und bückte sich, um das zu Boden gefallene Tuch aufzuheben.
    Liberty hob das Gesicht von Johns Schulter und sah den Fremden an.
    »Gehört der Ihnen?«
    »Ja. Vielen Dank«, erwiderte Liberty.
    Der Mann ging weiter, aber die alte Frau blieb wie erstarrt stehen. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
    »Macu?« Der Mann wandte sich besorgt zu seiner Begleiterin um und folgte ihrem Blick, der fest auf Liberty gerichtet war.
    »Es ist Zeit«, sagte John und reichte Liberty das lackierte Parfümkästchen. Sie gingen weiter zum Abfluggate, und Liberty warf einen kurzen Blick zurück. Die alte Frau starrte sie immer noch an. Bei ihrem Gesichtsausdruck lief es Liberty kalt über den Rücken.
    Sie erkennt mich , dachte sie. Die alte Frau kennt mich.
    »Liberty, komm schon«, sagte John und nahm sie am Arm. »Das ist schon der letzte Aufruf.«
    Sie zögerte, neugierig und ängstlich. Sie wollte so gerne fragen: »Wer sind Sie?« Und wer bin ich?
    »Diese Frau, ich muss mit ihr …«
    »Dafür ist keine Zeit, sonst verpasst du noch deinen Flug«, flüsterte John ihr ins Ohr und umarmte sie ein letztes Mal. Er wich zurück und drängte sie zur Eile.
    »Macu«, fragte der fremde Mann noch einmal, als Liberty weg war. »Was ist los?«
    Die alte Frau blinzelte einmal, zweimal, als würde sie aus einem Traum erwachen.
    »Nichts, Luca. Ich … ich dachte nur, ich hätte einen Geist gesehen.«
    Das soll kein Abschied sein. Im Flugzeug erinnerte sich Liberty an die letzten Worte, die John an sie gerichtet hatte. Sie stellte sich vor, wie er nun im Flughafen am Fenster stand und darauf wartete, dass sein Flug aufgerufen wurde, während er dabei zusah, wie die weißen Flügel ihres Flugzeugs aufstiegen und in der Abendsonne schimmerten. Sie atmete aus, als das Flugzeug wieder in die Horizontale kam, und trank einen Schluck Champagner. Dann kramte sie in ihrer Tasche und nahm Johns Füller sowie ein Blatt Papier heraus. Dabei fiel ihr auf, dass sie immer noch den Schlüssel zur Villa del Valle hatte. Ich habe vergessen, ihn zurückzugeben , schoss es ihr durch den Kopf. Sie hörte Freyas Stimme: Es gibt keine Fehler, alles geschieht aus einem Grund. Liberty warf einen Blick aus dem Fenster, auf das Meer, das unter ihr glitzerte. Das Haus gehört jetzt uns , sagte sie sich in Gedanken und berührte den Schlüssel mit den Lippen. Alles gehört uns .
    Liberty öffnete das Parfümkästchen und legte den Schlüssel hinein. Das Schwarz ist ein bisschen zu düster , dachte sie und fuhr mit den Fingerspitzen über den Deckel. Sie legte den Kopf schief und lächelte. Ich werde die Innenseite anmalen. Sie stellte sich ein warmes, sattes Orange vor, die Farbe des Sonnenuntergangs, der jetzt den Himmel überzog. Licht und Schatten, genau wie im Leben.
    Sie schraubte die Füllerkappe ab und hielt inne, die goldene Schreibfeder schwebte über dem frischen, weißen Blatt Papier. Schreib alles auf, was du willst, für Emma. Schütte dein Herz aus, schreib einen Brief für jede Situation, die dir einfällt , hatte John gesagt.
    Über die Freundschaft, schrieb sie und dachte an ihn.
    Emma, du wirst in den kommenden
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