Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
sagte der Mann. Doch dann kamen ein neues Semester und ein Wettbewerb, den er nicht gewann, und es war vorbei. Später, nach vielen Jahren am Redaktionstisch einer Reihe von mittelgroßen Zeitungen, wo er nachts wie am Fließband die Grammatikfehler nachlässiger Reporter korrigierte, hatte ihn die Zusage eines angesehenen Verlags, seinen ersten Roman zu veröffentlichen, wie ein Stromschlag durchzuckt. Das Buch war unter einem Tusch recht positiver Rezensionen erschienen.
Ein Naturtalent,
hatte ein Kritiker kommentiert. Und nachdem er bei der Zeitung gekündigt hatte, um weitere Bücher zu schreiben, war er mit dem einen oder anderen Interview in einer Literaturzeitschrift oder im Feuilleton der Lokalzeitungen erschienen. Einmal hatte ein lokaler Fernsehsender einen kleinen Beitrag über ihn gebracht, als einer seiner vier Thriller zur Verfilmung vorgeschlagen wurde – auch wenn am Ende aus dem Drehbuch, das sich irgendein obskurer Autor an der Westküste aus den Fingern gesogen hatte, nichts wurde.
    Doch schneller als erwartet gingen die Verkaufszahlen zurück, und selbst diese bescheidenen Erfolge verliefen im Sande, als er mit dem Schreiben ganz aufhörte. In den Buchläden, sogar auf den Ramschtischen für Restexemplare und Lagerbestände, suchte er vergeblich nach seinen Romanen. Und während er unerbittlich älter wurde, nannte ihn niemand mehr scharfsinnig oder ein Naturtalent.
    Selbst das Morden hatte seinen Glanz für ihn verloren.
    Die Tage schriller Schlagzeilen, das Trommelfeuer wochenlanger Zeitungskommentare voller Spekulationen war längst verstummt. Der Tod – selbst ein willkürlicher, brutaler Mord – hatte im Nachrichtengeschäft, so schien es ihm, sein Gütesiegel eingebüßt. Und der Stern des erbarmungslosen Einzeltäters war verblasst. Amokläufe irrer Psychoten, die in wildem Wahn wahllos um sich schossen, zogen die Presse immer noch magisch an. Auf das Blutbad in einem Drogenkrieg richteten sich nach wie vor die Fernsehkameras. Wenn jemand in einem Büro aus heiterem Himmel eine Schar von Kollegen niederschoss, verbreitete sich auch eine solche Heldentat in kürzester Zeit über alle Stationen. In einer Welt der kurzlebigen Sensationslust war für beharrliche, umsichtige Planung jedoch kein Platz – und so fühlte er sich zunehmend isoliert, nutzlos und ausgestoßen. Er hatte ein in Leder gebundenes Album angelegt, um die Rezensionen seiner Bücher und die Zeitungsausschnitte zu seinen vier Morden darin aufzubewahren. Vier Bücher. Vier Morde. Während er in früheren Tagen jeden Absatz genüsslich immer wieder gelesen hatte, war es ihm inzwischen zuwider, das Album auch nur aufzuschlagen. Sosehr ihn diese Morde und die Bücher, die er geschrieben hatte, einmal mit Stolz und Befriedigung erfüllt hatten, so sehr stießen sie ihm heute nur noch sauer auf.
    Es nagte jede Stunde des Tages an ihm und erfüllte ihn mit zunehmender Frustration, es quälte ihn nachts mit Träumen, aus denen er schweißgebadet erwachte, dass er für seine beiden Berufungen keine stetige und größere Anerkennung geerntet hatte. In seinen Augen konnte er jedem Stephen King oder Ted Bundy das Wasser reichen, doch niemand schien das zu sehen. Die einzigen wahren Leidenschaften, die ihm blieben, waren Wut und Hass – was einer unheilbaren Krankheit recht nahekam, nur dass es hierfür keine Pille oder Spritze und keinen operativen Eingriff gab, nicht einmal die Möglichkeit einer klaren Diagnose durch Röntgen oder Kernspintomographie. So war er im Lauf des letzten Jahres, in dem er seinen ultimativen Coup akribisch vorbereitet hatte, zu der Erkenntnise gelangt, dass ihm kein anderer Ausweg blieb. Wollte er in den Jahren, die ihm blieben, in der Lage sein, lauthals über einen Witz zu lachen oder einen guten Wein zu einem exquisiten Essen zu genießen, bei einer Sportmeisterschaft mit einer Mannschaft mitzufiebern oder auch nur mit einem gewissen Optimismus einen Politiker zu wählen, dann blieb ihm gar nichts anderes übrig, als einen wahrhaft denkwürdigen Mord zu inszenieren. Nur so konnte er hoffen, seine letzten Tage mit Sinn und Leben zu erfüllen. Es würde ihm Gewicht verleihen, ihn bereichern – in jeder Hinsicht.
    Planen. Ausführen. Entkommen.
    Er schmunzelte bei dem Gedanken, dass dies die Heilige Dreifaltigkeit des Serienmörders war. Er war selbst ein wenig überrascht, dass er so viele Jahre gebraucht hatte, um zu erkennen, dass in dieser Gleichung ein viertes Element fehlte: darüber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher