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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn
Autoren: Rupert Sheldrake
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–1519 ): »Wir können sagen, die Erde habe eine vegetative Seele, das Land sei ihr Fleisch, das Gestein ihre Knochen … Ebbe und Flut der Meere sind ihr Atem und Puls.« [45] Auch William Gilbert ( 1540 –1603 ), ein wegbereitender Forscher auf dem Gebiet des Magnetismus, vertrat eine organische Naturphilosophie: »Wir erachten das gesamte Universum als belebt und alle Sphären, alle Sterne, ja auch die edle Erde als von Urbeginn an von der ihnen bestimmten Seele geleitet und mit dem Antrieb der Selbsterhaltung ausgestattet.« [46]
    Nikolaus Kopernikus, der in seiner 1543 veröffentlichten revolutionären Theorie der Himmelsbewegungen die Sonne anstelle der Erde ins Zentrum rückte, war ebenfalls kein Mechanist. Seine Gründe für diese Änderung waren ebenso mystischer wie wissenschaftlicher Natur. Er fand, die zentrale Stellung sei der Sonne würdig:

    In der Mitte aber von Allen steht die Sonne. Denn wer möchte in diesem schönsten Tempel diese Leuchte an einen andern oder bessern Ort setzen, als von wo aus sie das Ganze zugleich erleuchten kann? Wenn anders nicht unpassend Einige sie die Leuchte der Welt, Andere die Seele, noch Andere den Regierer nennen. Trismegistos nennt sie den sichtbaren Gott, Electra des Sophocles den Alles Sehenden. So lenkt in der That die Sonne, auf dem königlichen Throne sitzend, die sie umkreisende Familie der Gestirne. [47]

    Die kopernikanische Wende in der Kosmologie war ein machtvoller Impuls für die weitere Entwicklung der Physik. Als noch viel radikaler erwies sich jedoch die mit dem siebzehnten Jahrhundert einsetzende Wende zu einem mechanistischen Naturverständnis.
    Es hatte schon in den Jahrhunderten davor mechanische
Modelle
mancher Naturphänomene gegeben. So finden wir in der Wells Cathedral im westlichen England eine vor über sechshundert Jahren installierte astronomische Uhr, die heute noch funktioniert. Die Uhr zeigt vor einem Sternenhintergrund Sonne und Mond auf Bahnen um die Erde. Die Bewegung der Sonne zeigt den Tageslauf an, und der innere Kreis den Mond auf seiner einmonatigen Umlaufbahn. Zum Vergnügen der Besucher tauchen jede Viertelstunde zwei Turnierritter auf und hetzen hintereinander her, und dazu schlägt ein dritter Mann mit den Fersen Glocken an.
    Astronomische Uhren gab es zuerst in China und im arabischen Kulturkreis, wo sie mit Wasserkraft angetrieben wurden. Um 1300 begann auch in Europa der Bau von Uhren, aber hier wurde eine andere Mechanik gewählt, die mit Gewichten und Hemmungen arbeitete. Bei diesen frühen Uhren war noch vorausgesetzt, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist. Sie taten ihren nützlichen Dienst, indem sie die Tageszeit und die Mondphasen anzeigten, doch das veranlasste niemanden zu glauben, die Welt funktioniere wie ein Uhrwerk.
    Um 1600 aber setzte jener Wandel vom organischen zum mechanistischen Bild des Universums ein, der noch heute unser Wissenschaftsverständnis bestimmt: Mechanische Weltmodelle galten von nun an als Abbilder der
tatsächlichen
Funktionsweise der Welt. Unpersönliche mechanische Prinzipien und nicht wie früher Seelen und Geister von eigener Lebendigkeit und Intention regierten von da an die Bewegungen der Sterne und Planeten.
    Johannes Kepler formulierte sein Vorhaben 1605 folgendermaßen: »Mein Ziel ist es zu zeigen, dass die himmlische Maschine nicht eine Art göttlichen Lebewesens ist, sondern gleichsam ein Uhrwerk … Und zwar zeige ich auch, wie diese physikalische Vorstellung rechnerisch und geometrisch darzustellen ist.« [48] Auch Galileo Galilei ( 1564 –1642 ) befand, alles sei von »unerbittlichen, unwandelbaren« mathematischen Gesetzen regiert.
    Was den Vergleich mit einem Uhrwerk so besonders überzeugend machte, war der Umstand, dass Uhren etwas in sich Geschlossenes haben und weder als Zug- noch als Schubgerät für anderes fungieren. Auch das Universum funktioniert gemäß der Regelhaftigkeit seiner Bewegungen und ist damit der Zeitmesser schlechthin. Und das Uhrwerk war noch von weiterem metaphorischem Nutzen, es führte das Prinzip des Erkennens durch Tun sinnfällig vor Augen: Wer eine Maschine zu konstruieren vermochte, würde es auch wieder tun können. Mechanisches Wissen war Macht.
    Die mechanistische Naturwissenschaft verdankt ihre Geltung nicht in erster Linie ihrem philosophischen Unterbau, sondern ihren praktischen Erfolgen, namentlich in der Physik. Mathematische Modelle müssen im Allgemeinen sehr weitgehend abstrahieren und vereinfachen, und das gelingt
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