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Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Titel: Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
Autoren: Anna Weidenholzer
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deiner Puppe fallen die Augen zu, sagt der Vater und legt die Puppe auf den Kasten. Ich zähle bis drei, sagt er, als sie protestiert. Eins, zwei, bis drei lässt Maria sein Zählen nie kommen, weil er den Zeigefinger bei eins schon hebt. Die Eltern schließen die Tür, Maria wartet eine Weile, dann kommt sie zurück, sie lehnt ihr Ohr an das Schlüsselloch, wie Detektive in Abenteuergeschichten. Er hat sich am Kasten aufgehängt, sagt der Vater, die Hausschuhe hat er vorher ausgezogen und neben die Wohnungstür gestellt.
    Die Schachtel steht am nächsten Tag dort, wo sie der Vater am Vortag gelassen hat. Sie ist aus Metall und an einer Ecke eingedrückt. Ich soll sie durchsehen und ihr die wichtigen Sachen geben, sagt der Vater beim Frühstück. Warum macht sie das nicht selbst, fragt die Mutter, die hinter ihm Geschirr abwäscht. Weil sie Angst hat, etwas zu finden, du weißt. Maria sitzt aufrecht am Küchentisch. Hilf deiner Mutter, sagt der Vater, als er die Schachtel öffnet. Das Telefon läutet, die Mutter steht auf, geht ins Vorzimmer, wo sie den Hörer abhebt. Maria trocknet Geschirr ab. Du kommst mit deinen kleinen Händen besser hinein als ich, sagt der Vater, wenn Maria fragt, warum er nicht abtrocknet. Die Mutter spricht laut am Telefon. Weil sie Angst hat, dass ihre Stimme sonst nicht durch die Leitung dringt, sagt der Vater an manchen Tagen und lacht, heute lacht der Vater nicht. Die Leitung ist oft besetzt, weil die Nachbarin lange telefoniert, dann ärgert sich Marias Mutter und verflucht den Viertelanschluss. Ein Viertelanschluss ist ein Telefonanschluss, den man sich mit drei Nachbarn teilt, erklärt die Mutter, wenn Maria fragt, was ein Viertelanschluss ist, merk es dir doch. Maria ist mit ihrem Vater in der Küche, sie hört die Mutter am Telefon sagen: Ja, es ist schrecklich. Ich weiß nicht, wahrscheinlich, er hat schon lange gesucht. Ich weiß nicht, vielleicht hat er, ja. Ja, nur weil man, das ist kein Grund, ja, da hast du vollkommen Recht. Den Kindern geht es gut, ja. Am Dienstag, bis dann. Schau, sagt Maria, als ihre Mutter zurück in die Küche kommt, und hält ihr einen Zettel hin, den sie aus der Schachtel gezogen hat. Was steht da, fragt Maria, ich kann die Schrift nicht lesen. Ich weiß nicht, ob du das lesen darfst, antwortet die Mutter, gib her. Die Mutter streicht über das Papier, dann sagt sie, das hat dein Onkel in der Schule geschrieben. Sie liest:
Ich will ein Flieger, Unterseebootskapitän, Indianerhäuptling und ein Mechaniker werden. Aber ich fürchte, es wird sehr schwer sein, einen guten Posten zu finden
. Maria lacht, Indianerhäuptling ist kein Beruf, sagt sie, das hätte er doch wissen müssen.

1 Ich bin
    Die Tante ist die Schwester des Vaters, der Vater ist der Bruder der Tante, ich bin die Tochter des Kindes deiner Mutter, sagt Maria zu ihrer Tante, als die Tante Zwiebeln schneidet. Woher weißt du das, fragt die Tante, sie sagt: Komm mir nicht zu nahe, sonst kommen dir die Tränen. Wie lange bleibst du noch bei uns, fragt Maria. Bis deine Mutter mit deiner Schwester aus dem Krankenhaus kommt, sagt die Tante, freust du dich auf deine Schwester. Maria nickt, wie große Schwestern nicken sollen. Die Post liegt auf dem Küchentisch, Maria sieht sie durch. Schau, du hast eine Karte bekommen, sagt sie zu ihrer Tante. Die Tante wischt die Hände an der Küchenschürze ab, sie fragt: Wer hat geschrieben, vielleicht dein Onkel, darf ich sehen. Maria bringt der Tante die Karte, die Tante lächelt, als sie liest, was darauf steht. Das darfst du lesen, sagt sie, wenn du es kannst, und legt die Karte zurück auf den Tisch. Auf der Karte ist eine Wiese zu sehen, darauf ein Baum mit breiten Ästen und eine Kuh. Was ist das für ein Baum, fragt Maria. Ich weiß es nicht, sagt die Tante und beginnt, die Zwiebeln klein zu hacken. Marias Augen brennen. Sie fährt mit dem Finger über die Zeilen, der Onkel schreibt ordentlich, sie liest langsam:
Ich bin immer noch hier, wo es regnet und manchmal die Sonne scheint
. Was heißt das, fragt Maria, und die Tante schiebt den Topf vom Herd. Die Tante kommt zu ihr, sagt, du kannst schon gut lesen, aber du bist noch zu klein, um das zu verstehen. Wenn du groß bist, wirst du alles verstehen, du wirst alles verstehen, und du wirst meinen Schmuck erben. Steh auf, hilf mir, die Kartoffeln zu schälen. Wie lange bleibst du noch bei uns, fragt Maria. Bis deine Mutter mich wieder gehen lässt, sagt die Tante. Schäl du die Kartoffeln, ich sehe nach,
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