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Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Titel: Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
Autoren: Anna Weidenholzer
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er singt, er seift sich gut ein, mehr als sonst. Er zieht die schöne Unterwäsche an, auch wenn sie bereits getragen und noch nicht gewaschen ist. Warum, fragte Maria beim ersten Mal, deine Unterhose sieht doch niemand. Der King trägt nur Sonntagsunterwäsche, antwortete Walter. Wenn Walter sich in Elvis verwandelt, singt er im Badezimmer, Maria muss die Tür schließen, sie soll nicht sehen, wie er vor dem Spiegel übt. Walter, ich hänge dein Kostüm über den Küchensessel, ruft sie an diesem Samstagnachmittag, ich bringe schnell den Müll hinaus, ich bin gleich wieder bei dir. Als Maria die Haustür hinter sich zuzieht, atmet sie tief ein. Sie geht langsam zu den Mülltonnen im Hof, ein Schritt vor den anderen, sie versucht, die Ferse des einen Fußes dort aufzusetzen, wo sich die Zehen des anderen vom Boden abheben. Es ist Sommer und Walters vierter Auftritt in diesem Jahr, er soll auf einem Zeltfest spielen. Maria weiß, dass Walter die Bühne als König betreten und als Bettelmann verlassen wird. Kaiser, König, Edelmann, denkt sie und sieht den Esstisch in der Küche ihrer Tante, die Küche der Tante und den Ofen, der mit Holz beheizt wurde, der die Küche nach Rauch riechen ließ. Kaiser, König, Edelmann – Bürger, Bauer, Bettelmann. Maria beeilte sich in der Küche der Tante, sie aß schnell, sie freute sich, wenn sie als erste mit dem Essen fertig war, wenn sie Kaiserin wurde. Heute bist du unser Kaiser, sagte die Tante dann, und Maria mochte das Wort
Kaiser
, auch wenn sie keinen Kaiser kannte. Die Tante hatte ihr ein Bild vom Kaiser gezeigt, ein Mann mit starkem Bartwuchs. Kaiser zu sein war schön, auch König oder Edelmann. Unter keinen Umständen wollte Maria Bürger sein, schlimmer war nur der Bettelmann. Kaiser, König, Edelmann, sagt Maria, als sie den Deckel der Mülltonne hebt, sie lässt ihn fallen, es scheppert. Sie sieht Walter durch die Balkontür in der Küche stehen, er zieht den Reißverschluss seines Oberteils zu, ein weißer Overall, der King trug gerne Weiß.
    Das Publikum johlt, als Walter auf der Bühne zum ersten Hüftschwung ansetzt. Maria sitzt ganz vorn, aber sie schaut an Walter vorbei auf die Bühnenverkleidung, sie sieht, wie sie wackelt, wenn Walter sich bewegt. Walter begrüßt das Publikum mit den Worten: Seid ihr bereit für den King. Einige lachen, einer in der ersten Reihe schreit: Geh nach Hause, Elvis ist tot. Als Walter zu singen beginnt, übersteuert das Mikrofon, aber Walter singt weiter, er schnippt mit seinen Fingern, er klopft auf seinen rechten Oberschenkel, er schwingt sein Becken. Auf den weißen Schuhen ist ein brauner Fleck, hoffentlich merkt er es nicht, denkt Maria vor der Bühne, hoffentlich bemerkt er nichts. Walter schwitzt nach dem zweiten Lied, seine Brusthaare kleben an der Haut, er atmet schwer. Die Gitarre hängt vor seinem Bauch, aber Walter spielt sie nicht. Walter singt zur Musik, die vom Band kommt. Das ist authentischer, hat er Maria erklärt, ich kann nicht gleichzeitig Gitarre, Bass und Schlagzeug spielen, und der King gibt sich nicht mit einer Gitarre zufrieden. Walter breitet seine Arme zur Seite, er singt, er vergisst auf das Mikrofon, er hält es schnell mit der rechten Hand vor den Mund, der linke Arm bleibt ausgestreckt. Nach fünf Liedern winkt der Veranstalter Walter von der Bühne, er dreht den Ton leiser, als Walter zu einem neuen Lied ansetzen möchte. Es tut mir leid, aber die Gäste verlassen schon das Zelt, sagt der Veranstalter. Maria bleibt in der ersten Reihe sitzen, sie dreht an ihrem Ehering. Die Bühne hat keinen Seitenabgang, Walter muss von der Bühne springen. Maria möchte nicht neben ihm gesehen werden. Ein gefallener König, denkt sie, als sich neben ihr ein junges Mädchen in den Graben übergibt. Maria trinkt einen großen Schluck Bier, dann hilft sie Walter, die Gitarre in den Koffer zu packen. Sie nimmt die Blumenkette von seinem Hals, legt sie auf die Gitarre in den Koffer. Ganz hinten haben zwei Frauen getanzt, hast du sie gesehen, sagt sie, und Walter lächelt ein wenig. Schöne Frauen, fragt er und Maria nickt. Die Steine auf Walters Anzug glitzern, als er an der Bar ein Bier bestellt. Wollen wir nicht nach Hause fahren, fragt Maria, willst du dich nicht umziehen. Wo denn, sagt Walter, siehst du hier Künstlergarderoben. Auf dem Parkplatz ziehe ich mich nicht um, da wird der Anzug schmutzig, du weißt, wie empfindlich er ist, es hat geregnet. Ich habe für meinen Auftritt zehn Getränkegutscheine
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