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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger
Autoren: William Nicholson
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als sie vor ihm stand, kam ihr eine Idee. 
    Sie begann zu klettern. 
    Komm wieder herunter, rief Bowman ihr besorgt zu. Man wird dich bestrafen. Du wirst herunterfallen. Du tust dir weh. 
    Das ist mir egal. 
    Sie zog sich auf den Sockel und fing an den Turm hinaufzuklettern. Das war nicht gerade leicht, denn er schwankte im Wind und die schmalen Tritteisen zwischen den Pfeifen waren rutschig. Doch Kestrel war gelenkig und kräftig und hielt sich beim Klettern gut fest. 
    Plötzlich ertönte ein durchdringender Schrei vom obersten Rang der Arena. »He, du! Komm sofort da runter!« 
    Ein Beamter in scharlachrotem Talar hatte sie erspäht und eilte die Stufen der Arena hinunter. Als er Mumpo auf dem fünften Rang kauern sah, blieb er stehen, um ihn auszufragen. 
    »Was fällt dir ein? Warum bist du nicht in der Schule?« 
    »Ich hab Hunger«, antwortete Mumpo nur. 
    »Hunger? Du hast gerade erst zu Mittag gegessen.« 
    »Nein, hab ich nicht.« 
    »Alle Kinder essen um ein Uhr in der Schule zu Mittag. Wenn du kein Essen bekommen hast, bist du selbst schuld.« 
    »Ja, ich weiß«, entgegnete Mumpo betrübt. »Aber Hunger hab ich trotzdem.« 
    Inzwischen hatte Kestrel den Hals des Windsängers erreicht und eine interessante Entdeckung gemacht. In der breiten Metallpfeife befand sich ein Schlitz und darüber war ein Pfeil eingekratzt, der auf den Schlitz zeigte. Über dem Pfeil entdeckte sie ein Zeichen, das aussah wie der Buchstabe 
    S. Das Ende des S schlang sich um den Buchstaben herum und oben über ihn hinweg. Der scharlachrot gekleidete Beamte hatte inzwischen den Sockel des Windsängers erreicht. »He, Junge«, sprach er Bowman mit schneidender Stimme 
    an. »Was macht das Mädchen da oben? Wer ist sie?« 
    »Meine Schwester«, antwortete Bowman. 
    »Und wer bist du?« 
    »Ihr Bruder.« Der grimmige Beamte machte ihn nervös, und wenn er nervös war, fing Bowman immer an sehr logisch zu denken. 
    Einen Moment lang verwirrt, blickte der Beamte nach oben und rief Kestrel zu: »Komm runter, Mädchen! Komm sofort runter! Was fällt dir ein da hinaufzuklettern?« 
    »Fatzke!«, rief Kestrel zurück und kletterte noch weiter hoch. 
    »Was?«, fragte der Beamte. »Was hat sie gesagt?« 
    »Fatzke«, wiederholte Bowman. 
    »Sie hat mich ›Fatzke‹ genannt?« 
    »Ich bin mir nicht ganz sicher«, erwiderte Bowman. »Vielleicht hat sie auch mich so genannt.« 
    »Aber ich habe doch mit ihr gesprochen. Ich habe ihr befohlen runterzukommen und sie hat ›Fatzke‹ gesagt.« 
    »Vielleicht dachte sie, Sie heißen so.« 
    »Aber ich heiße nicht so. Kein Mensch heißt Fatzke.« 
    »Das wusste ich nicht. Und sie weiß es sicher auch nicht.« 
    Bowmans schüchterne, aber bestimmte Antworten verwirrten den Beamten. Er schaute wieder zu Kestrel hinauf, die nun fast an der Spitze des Turmes angelangt war, und rief: »Hast du mich gerade ›Fatzke‹ genannt?« 
    »Fatzke, Laffe, Lackaffenfatz!«, brüllte Kestrel zurück. 
    Der Beamte wandte sich wieder Bowman zu und sah ihn selbstzufrieden an. »Da! Du hast es genau gehört! So eine Unverschämtheit!« Dann rief er Kestrel zu: »Wenn du nicht runterkommst, werde ich dich melden!« 
    »Sie melden sie auch, wenn sie runterkommt«, entgegnete Bowman. 
    »Sehr richtig«, antwortete der Beamte. »Aber ich werde sie eher melden, wenn sie da oben bleibt.« Er brüllte zu Kestrel hinauf: »Ich werde empfehlen, dass euch Punkte von eurer Familiennote abgezogen werden!« 
    »Bangaplopp!«, rief Kestrel. Inzwischen war sie auf der Höhe der breiten Lederkelle angelangt, und als sie das Schimpfwort aussprach, wanderte der Ton durch die Pfeifen des Windsängers und drang ungefähr eine Sekunde später verzerrt und auseinander gezogen aus den Schalltrichtern. 
    Dann steckte Kestrel den Kopf in die Schaufel hinein und brüllte: »Sagahock!« 
    Ihre Stimme dröhnte aus den Trichtern: »SAG-GA-GA¬HOCH-K-K!« 
    Der Beamte war entsetzt. »Sie stört die Nachmittagskonferenz«, stellte er fest. »Man wird sie bis ins Prüfungsinstitut hören.« 
    »Pompa-Pompa-Pompapruhn!«, rief Kestrel. »POMPA¬PA-POMPA-PA-POMPA-PA-PRUHUHN!«, tönte es durch die Arena. 
    Im nächsten Moment strömten die hohen Beamten der Stadt mit wehenden weißen Talaren aus dem Institut, um nachzuschauen, wer ihre Nachmittagssitzung unterbrach. »ICH HA-A-A-SSE DIE SCHU-U-U-LE!«, hallte Kestrels Stimme aus dem Windsänger. »ICH HA-A-A-SSE NO-O-O¬TEN!« 
    Die Prüfer waren
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