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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg
Autoren: Jörg Juretzka
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einer Brusttasche seiner Uniform.
    Ich atmete tief durch. »Hören Sie«, sagte ich zu ihm, »warum beordern Sie mich nicht gleich nach hinten, in die Halle? Da ist es bestimmt wärmer. Sie krempeln sich die Ärmel auf und schnappen sich den Werkzeugkasten und nehmen die Karre hier gründlich auseinander, ich hock mich daneben und bewundere Ihre mechanische Geschicklichkeit, und wenn Sie im Wagen nichts finden, können Sie mir ja immer noch in den Arsch leuchten und wer weiß, vielleicht werden wir zwei herzzerreißend gute Freunde darüber? Auf mich wartet kein Mensch, zu Hause. Von mir aus können wir beide uns hier die ganze Nacht um die Ohren hauen.«
    Er warf einen Blick nach links, einen nach rechts. Wir waren allein. »Meine geschiedene Frau«, meinte er unvermittelt und seltsam tonlos, »feiert heute mit ihrem neuen Liebhaber. In dem Haus, für das ich die Raten zahle. Und wenn ich die Kinder sehen will, muss ich vorher einen schriftlichen Antrag einreichen.« Er sah mich an, müde.
    »Auf mich wartet auch niemand, in meinem möblierten Zimmer.« Mit einem kleinen, schiefen Grinsen reichte er mir meine Papiere und wandte sich ab. »Fahren Sie vorsichtig.«
    Die Kontrollleuchten im Tacho glommen schon, als ich den Schlüssel noch mal zurückdrehte.
    »Warten Sie«, rief ich ihn zurück.
    »Was zu verzollen?«, fragte er, schwach amüsiert.
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Aber etwas anderes: Gleich kommt hier ein grüner Ford Capri vorbei. Mit Frankfurter Kennzeichen. Und einem unfachmännisch geschweißten Tank. Zwei Insassen. Sehr unhöfliche Typen.«
    Er hob eine Braue. »Die werden uns doch keine Schwierigkeiten machen wollen?« Mit einer Hand langte er in das Wartehäuschen, schnappte sich einen Telefonhörer und tippte eine Zahl. »Oft sind es Kleinigkeiten, die über eine vorzeitige Beförderung entscheiden«, vertraute er mir noch an, dann hob am anderen Ende jemand ab.
    So wie etwa ein bis zwei Pfund weißes Pulver oder bräunliches Granulat, dachte ich. Denn dafür waren mir die beiden gut, allemal. Da hätte ich Geld drauf gesetzt.
    Wir nickten uns noch einmal zu, ich drehte den Schlüssel, und mit einem strangulierten Geräusch zerrte der Anlasser den Motor aus dem Schlaf. Fort war ich.
    Mit vollem Tank kommt es einem immer so vor, als läge der Rasthof Hünxe direkt hinter der Grenze. Und doch sind es 50 Kilometer, und keiner weniger. So kann man sich täuschen.
    Wir schafften erstaunliche 45 davon, bevor dem Motor die Spucke wegblieb und ich mich schreitend wiederfand, einen wie immer, wie unausweichlich immer, leeren Reservekanister unter den Arm geklemmt.
    Fünf Kilometer hin, fünfe zurück. Zu Fuß. Mit zwei heftig geschwollenen Hoden in einer vorher schon nicht unbedingt großzügig geschnittenen Jeans. Meine Gangart hätte einen Stummfilmcowboy grün vor Neid gemacht.
    Ich brauchte eine Stunde hin, mit viel kaltem Schweiß auf der Braue, vielleicht drei Minuten zum Tanken und Zahlen und dann, logisch, eine Stunde zurück. Unter normalen Umständen hätte ich den ganzen Weg lang geschäumt. Nicht so heute.
    Denn die ganze Zeit über, seit ich die Grenze passiert hatte, und auch später, bis ich in Mülheim die Autobahn verließ, kam kein einziger grüner Capri an mir vorbei. Und ich habe genau aufgepasst.
    Frauen, die mich verlassen, Freunde, die mich betrogen, Feinde, die sich mir gemacht haben, sie alle sagen mir nach, ich sei im Grunde gutmütig, aber nachtragend, unter Umständen regelrecht unversöhnlich.
    Da ist ganz sicher etwas dran.
    Zwei Frankfurter hatten das eben gelernt. Zwei Chinesen stand es noch bevor.
    Kies knirschte unter den abgelatschten Tretern des Transporters, als er vor dem Portal vom >Fuckers' Place< ausrollte. Ich ging vom Gas, und wie immer versuchte es der betagte Vierzylinder noch ein paar Umdrehungen lang ohne die Unterstützung meines rechten Fußes, gab dann aber unter Husten und Röcheln entmutigt auf und verstummte.
    Jedes einzelne Fenster der Villa war festlich erleuchtet. Musik drang heraus in die Nacht. Ein Männerchor. Im Takt gehalten von stampfendem Disco-Beat. Eine schmissige Hymne auf die trefflichen Dienste, die der Christliche Verein Junger Männer einsamen, jungen Männern zu bieten hat. Und, ohne auch nur einmal Luft zu holen, folgte in direktem Anschluss eine Ode an die Vorzüge eines Lebens bei der Navy.
    Sie mussten Scuzzi an den Plattenteller gelassen haben. Nicht dass wir uns hier missverstehen: Mein Freund Pierfrancesco ist nicht
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