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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg
Autoren: Jörg Juretzka
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eine oder andere Weise Trouble.
    »Also, Willy lässt die Hosen runter und versucht, ein paar, ähm, Zärtlichkeiten anzubringen. Ist möglicherweise an ein paar Latente geraten, und du weißt ja, das sind die Übelsten. Prompt meinen die beiden, sich für seine Aufmerksamkeiten bedanken zu müssen, indem sie ihn aufmischen. Poppel und Hoho haben gerade noch rechtzeitig eingegriffen.«
    »Mussten richtich grob werden«, schob Hoho ein. Was das hieß, wusste ich.
    »Und, was soll ich sagen, gestern Abend, ich schmück gerade den Baum«, Charly deutete mit dem Daumen über seine Schulter auf das hohe, kahle, schwarze Gerippe unter einem runden, rußigen Fleck an der Decke, in das sich noch jede Stormfucker'sche Weihnachtstanne verwandelt hat - »Scuzzi härtet Eishockeypucks im Ofen.«
    »Ich habe Kekse gebacken«, mischte sich der zufällig gerade vorbeikommende Scuzzi ein - »die Jungs spielen >Reise nach Jerusalem<, alles ist so richtig gemütlich, als urplötzlich ein Stein durch die Scheibe geflogen kommt und dann noch einer, und wie wir rauskucken, rotten sich da vielleicht zwölf oder fünfzehn vermummte Typen in Tarnanzügen auf dem Rasen zusammen und machen Anstalten, die Haustür aufzubrechen. Kristof«, und er sah mich ernst und beinahe entschuldigend an, »was sollten wir tun?«
    Ihr seid wie ein Mann raus und habt die Scheiße aus ihnen herausgeprügelt, war die Antwort, die mir auf der Zunge lag, und am Ende war einer tot. Anders ließ sich ihr seltsames Herumgedruckse kaum deuten. Täuschte ich mich, oder schwammen ihnen die Augen?
    »Was sollten wir tun«, wiederholte Charly mit etwas wie beginnender Hilflosigkeit in der Stimme und blickte seinen großen, schlichten Gefährten an, der mit so was wie Rührung zu kämpfen schien.
    »Und?«, fragte ich, langsam ernsthaft besorgt.
    »Wir haben«, sagte Charly, ohne mich anzusehen, stieß stattdessen seine Stirn mit einem hohlen >Gunk< gegen die von Hoho, »wir haben«, und ich sah eine Träne fallen, kein Scherz, »wir haben die Bullen gerufen!« Und sie fielen sich in die Arme und brüllten vor Lachen, dass es die >New< übertönte.
    Die Bullen hatten nur die Adresse >Johann-Wolfgang-von Goethe-Allee< gehört und waren direkt mit ein paar Mannschaftswagen angerückt, hatten eingefangen, was sich fangen ließ, einkassiert, was sich ergab, niedergeknüppelt, was sich zur Wehr setzte, schließlich alles zusammen bäuchlings auf dem Rasen ausgerichtet, mit Handschellen versehen, in die Grünen Minnas verfrachtet und weggekarrt. Unter tosendem Applaus.
    Die piekfeine Adresse verdankten wir einem Unfall. Wirklich wahr.
    Willys Vater, der alte August Heckhoff, hatte sich hochgearbeitet. Mit einer Mischung aus Zähigkeit, Risikofreude und den wahrscheinlich unverzichtbaren Ellenbogen hatte er es geschafft, im Verlauf von 25 Jahren aus einer Ein-Mann-Hinterhofschlosserei eine Maschinenbaufirma mit beinahe 400 Angestellten aufzubauen.
    Was einen Mann zu so einem Kraftakt motiviert, ist sicherlich von Fall zu Fall verschieden. Die Verlockung, einen Haufen Kohle zu verdienen, einen dicken Wagen und ein großes Haus zu besitzen, mag alle Unternehmer antreiben, doch in späteren Jahren werden viele von ihnen, nachdem sie all das erreicht haben, bei der Stange gehalten von dem Wunsch, etwas zu hinterlassen, etwas zu vererben.
    Willy - eigentlich Wilfried - war August Heckhoffs einziger Nachfahre. Irgendwann um Willys 18. Geburtstag herum beschloss sein Vater, sein Testament zu machen und somit auch die zukünftige Leitung der Firma zu regeln. Dazu rief er den Familienrat, seine gesamte Führungsmannschaft und den als Firmen- und Familienanwalt und als Freund und Vertrauten im weitesten Sinne fungierenden Notar Dr. Roth-Bichler zusammen.
    Reihum befragt, äußerte jeder der Anwesenden in sicherlich unterschiedlichen Worten und doch unmissverständlich in der Botschaft die Ansicht, dass, sollte Willy die Leitung des väterlichen Betriebes übernehmen, es keine sechs Monate dauern dürfte, bis sich die >Heckhoff Maschinen- und Anlagenbau GmbH< wieder in eine Ein-Mann-Hinterhofschlosserei zurückverwandelt hätte.
    Also wurde beschlossen, die Firma in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, Willy als Erben der Villa sowie - bis zum Erreichen des 28. Lebensjahres einer monatlichen Apanage aus dem Privatvermögen einzusetzen und Dr. Roth-Bichler als Verwalter und Treuhänder.
    Zwei Monate später platzte August Heckhoff bei hohem Tempo auf der Autobahn ein Vorderreifen, was den
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