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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg
Autoren: Jörg Juretzka
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Ferkelreste auf der Figur, als auf der Platte verblieben waren.
    »Brauch unnunbedingt wasszu Ficken«, vertraute er mir an und rieb das verschmierte rechte Brillenglas mit einem noch verschmierteren Hemdzipfel ab. Hob die Brille ans Licht, linste verkniffen hindurch, nickte eine ganze Weile zufrieden und setzte sie wieder auf. Dann packte ihn ein Gedanke.
    »Dagmar iss nich gekommen«, stieß er hervor und sah mich durch das eine, halbwegs klar gebliebene Glas an, als sei dies ein unerwarteter, ja gänzlich überraschender Umstand, mit dem keiner wirklich gerechnet habe. Ich schenkte mir einen Kommentar, blickte stattdessen nur mit leichtem, verständnislosen Kopfschütteln ebenfalls einäugig zurück und nahm einen weiteren Löffel Kartoffelpüree, inständig hoffend, das sei genau das geeignete Mittel, den >Weißen Stock< daran zu hindern, sich durch meine Magenwand hindurch und von da an abwärts bis nach China zu fressen.
    »Na«, fügte Willy nach einem Moment großer Nachdenklichkeit mit einem Anflug von Selbstkritik hinzu und wischte etwas ungeschickt an seinen triefenden Plörren herum, »'s vielleicht auch besser so.«
    >Reise nach Jerusalem< auf Stormfucker-Art erfordert einen strengen, ja unnachgiebigen Schiedsrichter. Da es keine Spielregeln gibt, sind seine Entscheidungen ebenso unanfechtbar wie ständiger Kritik ausgesetzt. Es ist ein Job für jemanden mit natürlicher Autorität und einem Geschmack für Willkürentscheidungen.
    Willy und ich waren beide, jeder auf seine Art, in keinem Zustand, aktiv an dem Spiel teilzunehmen, doch er bestand trotzdem darauf, und ich bin mein Leben lang schon der geborene Schiedsrichter gewesen. Ich hängte mir die Trillerpfeife um und pfiff augenblicklich die Runde an, ohne die Drehrichtung angezeigt oder den Teilnehmern Zeit gegeben zu haben, sich rings um den großen Eichentisch zu postieren. Chaos brach los. Man könnte versucht sein zu sagen, Urgewalten brächen sich Bahn, doch dies war schon die achte Runde heute, und die Energien der Wettstreitenden hatten sich schon weit gehend erschöpft. Die Schwarze Binde, wie Kenner unsere Bowle schalkhaft nennen, tat natürlich ein Übriges. Somit blieb es bei einem schlichten Chaos.
    Willy flog schon aus der ersten Kurve, schlitterte, einen sichtlichen Film hinterlassend, Kopf voran über das Parkett und kam nach heftigem, klirrendem Einschlag inmitten einer in Monaten mühevoll zusammengetragenen Ansammlung leerer Flaschen zu liegen. Kalt. Mund und Augen halb geöffnet, Extremitäten verdreht und in alle Richtungen zeigend. (Wir haben später ein Foto davon geschossen und mussten doch tatsächlich einen Redakteur unter Druck setzen, um es zu Neujahr im Glückwunschteil der WAZ abgedruckt zu bekommen.)
    Die Fraktion, die der Richtung gegen den Uhrzeigersinn den Vorzug gab, erwies sich als die durchsetzungsfähigere und stellte die Mitglieder der anderen Doktrin vor die Wahl, sich entweder umzubesinnen oder untergepflügt zu werden. Die meisten besannen sich. Kaum rannten sie alle in eine Richtung um den Tisch, änderte ich mit zwei scharfen Pfiffen die Richtung. Kaum hatten sie das gemeistert, befahl ich mit einem langen Pfiff >Setzen!<. Alles schmiss sich auf die Stühle. Wessen Sitzmöbel zusammenbrach, war draußen. Und hatte gewonnen. Denn wer es bis zum Schluss nicht schaffte, einen Stuhl zu ruinieren, musste die ganzen Bruchstücke aufsammeln und das Feuer damit füttern. Außerdem bekam er die spitze gelbe Mütze aufgesetzt und musste sich bis zum nächsten Durchgang ungestraft >Lusche< nennen lassen.
    Poppel verlor diesmal, was seiner üblichen Scheiß-Laune einen weiteren Tritt versetzte. Zwar zog er brav die gelbe Mütze über das früh ergraute Haar, zwar sammelte er brav den ganzen Möbelbruch auf und schleppte ihn in die Halle, doch >Lusche< brauchte er sich trotzdem nicht nennen zu lassen.
    Bei Poppel konnte man nur so und so weit gehen. Er war, wenn man so will, berühmt für seinen Humor. So wie die iranische Führung. Oder die katholische.
    Gegen Morgen hatte die >Chemische Keule<, wie Anwender im Selbstversuch die Stormfucker'sche Bowle unter der Hand bezeichnen, fast alle meine Schmerzen einigermaßen im Griff. Solange ich breitbeinig auf etwas Kaltem in einem weichen Fauteuil saß, hieß das. (Irgendwann, als nur noch ein harter Kern von Hausbewohnern dem Zugriff der Ohnmacht zu trotzen verstand, habe ich sie ausgepackt und - Alkohol enthemmt - Charly ein Foto davon machen lassen. Allerdings, leider,
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