Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
abbruchreifen Nachbarn nur so gerade daran gehindert, in die nächste Gracht zu fallen. Sie befand sich am unteren Ende der rutschigen Rampe namens Rotlichtviertel, unteres Ende in jeder nur erdenklichen Hinsicht. Wir hatten einen Häuserblock entfernt angehalten, und ich war alleine vorangegangen, hatte mich durchgekämpft durch eine regelrechte Feldstudie der Verelendung, hatte die Türglocke betätigt und mein Anliegen vorgetragen.
    »Don' know any Dolis«, lächelte mich der Türsteher unergründlich asiatisch an und beugte den Kopf über seinen gefalteten Händen in einer beflissenen Parodie auf Hollywood-Chinesen vergangener Tage. Es war einer meiner beiden Freunde von gestern, es war klar, dass er mich erkannte und genauso klar, wofür er mich hielt. »Vielleicht möchte del edle Flemde eine andele Dame?« Mit einem beflissenen Kopfnicken wies er lächelnd auf das rot erleuchtete Schaufenster rechts von mir. Eine krank und weggetreten aussehende Türkin hockte darin, angetan mit einer grünen Nylonunterhose mit Troddeln dran und einem rosa Büstenhalter aus KirmesteddyPlüsch. Auf mich wirkte sie ungefähr so erotisch wie ein eingelegter Brathering.
    »Nein«, sagte ich ruhig, nicht im Geringsten beleidigt dadurch, dass er mich behandelte wie einen Schwachkopf, »ich möchte zu Doris. Und zwar jetzt gleich.« Und ich setzte mein hartnäckiges, schwer abzustellendes Lächeln auf.
    Sein Lächeln erlosch und wich einer überaus kühlen Maske. Seine Hände gaben die katholische Bittstellung auf, und er krümmte und streckte die Finger spielerisch zu beiden Seiten seiner schmalen Hüften, unentschlossen. Wie ein Pianist, der weiß, dass er gleich in die Tasten hauen wird, sich aber noch nicht recht entschieden hat, welches Stück er spielen will. Gleichzeitig nahm er den Kopf hoch, hob die Schultern und streckte das Rückgrat. Seine schmalen, harten Augen gaben mir einen schmalen, harten Blick. Es kostete mich ein bisschen, da so zu stehen, Angesicht zu Angesicht mit diesem nicht zu beeindruckenden, nicht zu durchschauenden, knallharten Fernöstling, vor allem mit einem Paar Hoden unter dem Bauch, die seit gestern nicht aufhören wollten zu pulsieren wie zwei dicke, rote Warnleuchten.
    Eigentlich brauchte es schon ein bisschen Dummheit, jetzt noch abzuwarten, was für Worte er als nächstes sprechen würde.
    »Wir haben hier keine Doris«, blaffte er in völlig akzentfreiem Deutsch, »and now fuck off!« Geschmeidig lehnte er sich im Türrahmen zurück und zog ein Bein an, um mich mit einem Tritt zu verabschieden, als ein Schatten auf ihn fiel. Ein großer Schatten.
    »Hoho«, sagte Hoho.
    Mit äußerster, öliger Geschmeidigkeit wirbelte der Chinese herum, wirbelte um die Türe herum und warf sie zu. Soweit es ging. Poppel war an mir vorbeigetaucht und hatte das stumpfe Ende seines abgebrochenen Billardqueues in den Spalt zwischen Türblatt und Schloss geschoben.
    »Ist das einer von denen?«, fragte er mich zischend und rotflackernden Auges, während drinnen hektische Kommandos ertönten, und ich konnte den Schnaps in seinem Atem riechen.
    Die Türe knirschte, als sich von innen noch jemand dagegen warf.
    »Nana«, brummte Hoho, der seinerzeit nur knapp an einem anderen Spitznamen vorbeigeschrammt ist, und machte einen Schritt zurück. Holte einmal tief Luft und rammte dann seine 110 Kilogramm Muskeln, Knochen und Durchsetzungsvermögen gegen das Türblatt, dass es die Scharniere aus ihren Verankerungen rupfte wie Mohren aus dem Beet und damit die ehemalige Klapptür im Zeitraum eines hastigen Luftzuges in eine Drehtür verwandelte, allerdings ohne die für einen vernünftigen Betrieb eigentlich unerlässlichen Mittellager. Somit drehte sie sich nur einmal, und auch das nur um 180 Grad, bevor sie auf die Straße fiel und die beiden Chinesen unter sich begrub.
    Na ja, auf den beiden Chinesen zu liegen kam, wäre wohl präziser ausgedrückt. So richtig von >begraben< konnte man eigentlich erst sprechen, nachdem Hoho sich der Länge nach obendrauf geworfen hatte.
    Ich fand sie hinten. Ich fand sie, nachdem ich wieder rausgegangen war und Charly, der wie D.O. und Schisser völlig nonchalant draußen auf- und abschlenderte und jegliche Form von Passant oder Gaffer auf Distanz hielt, einen Kuhfuß aus dem Ärmel gezogen und damit, wieder drin, das Vorhängeschloss von der Türe zu einem Verschlag gebrochen hatte.
    Zwinger vollkommen verwahrloster Hunde riechen so.
    Leute mit einer gewissen Allmacht, wie Sklavenhalter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher