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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
Autoren: Brad Meltzer
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1. KAPITEL
    Ich gehöre nicht hierher. Schon seit Jahren nicht mehr. Als ich auf den Capitol Hill kam, um für den Kongreßabgeordneten Nelson Cordell zu arbeiten, war das noch anders, doch selbst einen Rennfahrer wie Mario Andretti hat es schließlich gelangweilt, jeden verdammten Tag zweihundert Meilen zu fahren. Vor allem, wenn man sich nur im Kreis bewegt. Das habe ich seit acht Jahren gemacht. Es wird Zeit, endlich aus dieser Schleife auszusteigen.
    »Wir haben hier nichts zu suchen«, wiederhole ich, während ich am Pissoir stehe.
    »Wovon redest du?« Harris zieht sich am Becken nebenan den Reißverschluß hoch. Er verrenkt sich fast den Hals, um mich von Kopf bis Fuß zu mustern. Mit meinen ein Meter neunzig bin ich so groß wie eine Palme und blicke auf sein ungekämmtes schwarzes Haar hinunter. Er weiß, daß ich gereizt bin, und wie immer bleibt er ruhig wie das Auge des Hurrikans. »Komm schon, Matthew, dieses Schild interessiert doch nun wirklich niemanden.«
    Er denkt, ich mache mir Sorgen wegen der Toiletten. Diesmal liegt er falsch. Das hier mag der Waschraum direkt gegenüber dem Sitzungssaal im Repräsentantenhaus sein, und vielleicht steht auf dem Schild auf der Tür auch: Nur für Mitglieder, was heißen soll: Mitglieder des Kongresses, oder anders ausgedrückt: für sie, was bedeutet: nicht für uns, aber ich bin mir sehr bewußt, daß selbst der pingeligste Abgeordnete es zwei Stabsmitarbeitern nicht verwehren wird, sich zu erleichtern.
    »Vergiß den Waschraum«, sage ich zu Harris. »Ich meine das Capitol selbst. Wir gehören hier nicht mehr hin. Letzte Woche habe ich mein Achtjähriges gefeiert, und was habe ich vorzuweisen? Ein Büro, das ich mir mit drei anderen teile, und einen Kongreßabgeordneten, der erst letzte Woche dem Vizepräsidenten beinahe auf die Pelle gerückt ist, damit er nicht aus dem Foto für die Zeitung geschnitten wurde. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt. Es macht keinen Spaß mehr.«
    »Spaß? Du denkst, hier geht's um Spaß, Matthew? Was würde Lorax sagen, wenn er das gehört hätte?« Er deutete mit dem Kinn auf den Anstecker am Revers meines blauen Anzugs. Wie üblich weiß er genau, welchen Knopf er drücken muß. Als ich mit der Umweltarbeit für den Kongreßabgeordneten Cordeil anfing, hat mir mein fünfjähriger Neffe den Anstecker geschenkt, um mir zu zeigen, wie stolz er auf mich war. Ich bin der Lorax - ich spreche für die Bäume, sagte er und zitierte aus dem Gedächtnis aus einem Buch, aus dem ich ihm immer vorgelesen hatte. Jetzt ist mein Neffe dreizehn. Dr. Seuss, der Schöpfer des Lorax, ist für ihn nur ein Schriftsteller, der Kinderbücher schreibt. Für mich jedoch, selbst wenn es nur wertloser Tand ist ... Wenn ich den winzigen, orangefarbenen Lorax mit seinem wusche-ligen blonden Schnurrbart ansehe ... Einige Dinge zählen eben immer noch.
    »Richtig«, sagt Harris. »Der Lorax kämpft immer für das Gute. Er setzt sich für die Bäume ein. Auch wenn es keinen Spaß macht.«
    »Das sagst ausgerechnet du?«
    »Keine gute Lorax-Antwort.« Er singt die Worte geradezu. »Was meinst du, LaRue?« Er dreht sich zu dem älteren Schwarzen herum, der wie immer auf seinem Schuhputzstuhl rechts hinter uns sitzt.
    »Vom Lorax hab ich noch nie gehört«, antwortet LaRue, ohne seinen Blick von dem kleinen Fernsehgerät über der Tür abzuwenden, auf dem C-SPAN eingestellt ist. »Ich selbst war schon immer ein Fan von Horton Hears A Who.« Sein Blick wird unscharf. »Süßer kleiner Elefant...«
    Bevor Harris meinen Selbstkasteiungstrip noch um eine Meile verlängern kann, fliegt die Schwingtür auf, und ein Mann in einem grauen Anzug und mit einer roten Fliege marschiert herein. Ich erkenne ihn sofort: Der Kongreßabgeordnete William E. Enemark aus Colorado. Der Dekan des Hauses und das dienstälteste Mitglied des Kongresses. Er hat in seiner Dienstzeit alles erlebt: von der Aufhebung der Rassentrennung und der Roten Gefahr über Vietnam und Watergate bis hin zu Lewinsky und dem Irak. Er schenkt uns keinerlei Beachtung, während er sein Jackett an die handgeschnitzte Garderobe hängt und eilig zu den Holzkabinen im hinteren Teil des Waschraumes geht. Harris und ich legen allerdings auch nicht gerade Wert auf seine Aufmerksamkeit.
    »Genau das meine ich«, flüstere ich Harris zu.
    »Was? Ihn?« erwidert er ebenso leise und deutet auf die Kabine, in der Enemark verschwunden ist.
    »Der Mann ist eine lebende Legende, Harris. Ist dir klar, wie abgestumpft wir sind,
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