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Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)
Autoren: Anne Perry
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als ob sie nicht geschlafen hätten, und allein schon der Gedanke, bald so etwas wie Weihnachten zu feiern, war absurd, so als gehörte das Fest in eine andere Welt.
    Busby erhob sich.
    »Ich habe keine weiteren Zeugen mehr, Sir.« Er wandte sich an Latimer, schloss aber die beiden Offiziere neben ihm in seinen Blick ein. »Es steht außer Frage, dass Chuttur Singh erschlagen wurde, und ich habe zweifelsfrei aufgezeigt, dass es niemand anderer als Korporal John Tallis gewesen sein kann. Ich kann allerdings keinen Beweggrund für sein Handeln erkennen. Ob er nun bedroht oder bestochen wurde oder einfach unter dem Druck der Geschehnisse seinen Verstand verloren hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich glaube auch nicht, dass das von Bedeutung ist. Die Tatsachen bleiben bestehen.«
    Latimer nickte langsam. Tiefe Furchen durchzogen sein Gesicht, so unglücklich war er über das Ergebnis. Er wandte sich Narraway zu. »Haben Sie noch etwas zu sagen, Leutnant Narraway? Es ist Ihre Pflicht, alles vorzubringen, was für den Angeklagten spricht.«
    Narraway erhob sich langsam. Der kurze Schlaf war voller Albträume gewesen, und es kam ihm vor, als ob all dies nur die erdrückende Verlängerung seines Scheiterns war. Sein Mund war wie ausgetrocknet.
    »Ja, Sir.« Er schluckte. »Hauptmann Busby hat während des Verfahrens Korporal Tallis’ Schuld eindringlich dargelegt, aber sie beruht einzig und allein auf der Tatsache, dass er keinen anderen Schuldigen für die Tat finden konnte. Er konnte nicht einmal anführen, dass Tallis zur Tatzeit an Ort und Stelle gesehen wurde, dass er sich wie ein Schuldiger verhalten hätte, dass er irgendwelche Kampfspuren aufwies: blaue Flecken, Schnittwunden, Blutspuren oder eine zerrissene oder schmutzige Uniform. Auch hat er uns keinen Grund nennen können, weshalb Tallis so etwas getan haben sollte, außer dass er verrückt geworden war, was dann aber ohne Vorwarnung hätte geschehen müssen, ein Zustand, der dann ebenso plötzlich wieder verschwand. Wie der Hauptmann selbst zugibt, hat er einfach keinen anderen Schuldigen gefunden.«
    Busby stand auf.
    »Setzen Sie sich, Hauptmann«, sagte Latimer grimmig. »Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass Sie dem nicht zustimmen. Geben Sie Leutnant Narraway seine Chance.«
    Busbys Gesicht spannte sich, aber er sagte nichts mehr.
    »Sir«, sprach Narraway weiter, »ich glaube, es gibt für die Tatsachen, die uns vorliegen, eine andere Erklärung als die, dass Tallis schuld ist, aber ich muss den Zeugen Grant noch einmal sehr genau befragen, bevor ich sicher sein kann. Ich konnte bereits Irrtümer ausschließen, die ich genau geprüft habe, und ich habe festgestellt, dass sie nichts mit Chuttur Singhs Tod zu tun haben. Jetzt muss ich gewisse andere Aspekte untersuchen, die zutage gekommen sind.« Das war eine klare Übertreibung. Er hatte nicht die Absicht, Carpenter und Ingalls zu erwähnen, aber er musste so tun, als habe er einen triftigeren Grund als reine Spekulation, auch wenn diese überzeugend genug war, die Zeugen noch einmal aufzurufen.
    Latimer zögerte, wollte etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. »Fahren Sie fort, Leutnant Narraway, aber wenn Sie zu weit abschweifen, werde ich Sie persönlich ermahnen, unabhängig von den Einwänden, die Hauptmann Busby vielleicht hat.«
    »Ja, Sir. Ich rufe Korporal Grant noch einmal in den Zeugenstand.«
    Grant wurde gebührend auf seinen Eid hingewiesen und sah Narraway irritiert an.
    Narraway war sich nur zu bewusst, dass ihn alle im Raum misstrauisch und sogar missbilligend ansahen. Er vermied es, Tallis in die Augen zu sehen.
    »Korporal Grant.« Narraway unterbrach und räusperte sich. Plötzlich kam ihm seine Idee absurd vor. Er würde sich nur lächerlich machen, seine Karriere ruinieren, Latimer enttäuschen und zusehen müssen, wie Tallis hingerichtet würde. Er räusperte sich erneut. »Bitte stellen Sie noch einmal dar, wo Sie sich befanden und was Sie genau taten, als Sie den Alarm im Gefängnis hörten. Versuchen Sie, ganz präzise zu sein, und wenn Sie sich an etwas nicht genau erinnern, sagen Sie das bitte. Es ist schließlich keine Schande, so in Arbeit vertieft zu sein, dass man andere Dinge gar nicht wahrnimmt, insbesondere im Alarmzustand.«
    Grant sagte langsam und bedächtig aus.
    Als er fertig war, fasste Narraway mit etwas unsicherer Stimme die Aussage noch einmal zusammen.
    »Der sterbende Chuttur Singh hat Ihnen also gesagt, dass der Gefangene geflüchtet sei.
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