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Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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übereinstimmte, dann musste Carpenter gelogen haben. Er hatte McLeod und Avery gedeckt, obwohl er sie, wenn sie sich auf der Seite des Gefängnisses befanden, eigentlich nicht hätte sehen können. Es war nur ein winziges Indiz, aber sie konnten nicht alle gleichzeitig recht haben. War es nur der Irrtum eines Mannes, der zu müde, zu erschüttert war, um sich genau zu erinnern? Spielte es überhaupt eine Rolle? Nicht wenn seine Überlegung richtig war. Aber was, wenn nicht? Er konnte es sich nicht leisten, sich darauf zu verlassen. Wenn er falschlag, müsste er auf etwas anderes zurückgreifen können. Alle hatten sie geschworen, dass sie ein Alibi hätten, und niemand sonst konnte in das Gefängnis gegangen sein, bevor Grant auf den Alarm reagierte.
    Er musste Carpenter sofort wecken und von ihm eine Erklärung verlangen. Es war hart, jemanden mitten in der Nacht aufzuwecken und ihn wegen etwas zu beschuldigen, das sich womöglich als Irrtum herausstellte. Aber Tallis’ Leben hing davon ab.
    Narraway ging über den Hof zu den Überresten eines Kasernengebäudes, in dem Carpenter sein Quartier hatte, das er nur mit Mühe fand. Er musste einem Wärter klarmachen, wer er war und dass sein Kommen nicht aufgeschoben werden konnte. Er hatte erwartet, Carpenter schlafend vorzufinden. Stattdessen lag dieser auf der unbequemen Strohmatte und wälzte sich unruhig hin und her. Er setzte sich auf, sobald er bemerkte, dass Narraway im Raum war.
    Narraway entschuldigte sich sofort. Er sprach so leise wie möglich, um die anderen Soldaten, die sich in Hörweite befanden und vielleicht auch einen leichten Schlaf hatten, nicht zu stören.
    »Ich muss mit Ihnen sprechen, bevor das Gericht heute wieder tagt. Unter vier Augen.«
    »Was?« Carpenter war noch ganz benommen. »Ach, Sie sind ’s, Leutnant? Sie wollen noch mal eine Aussage von mir?« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und setzte sich besser auf. »Warum das denn? Ich habe keine Ahnung, wer Chuttur Singh umgebracht hat. Ich weiß nur, dass ich es nicht war und Reilly und Scott auch nicht. Sie konnten es nicht gewesen sein.«
    »Können wir bitte rausgehen?« Es klang wie eine Bitte, aber tatsächlich war es ein Befehl.
    Leise stand Carpenter auf, zog Hose und Uniformjacke an und folgte Narraway in die Nacht hinaus.
    Es war stockdunkel. Selbst das helle Sternenmeer gab wenig Licht, und der Wind war heftiger als zuvor, fegte durch die Äste und ließ die Blätter der Tamarindenbäume rascheln.
    »Um was geht’s, Sir?« Carpenter fröstelte ein wenig.
    Narraway ging mit ihm noch einmal Schritt für Schritt seine Aussage durch. Er kannte sie schon auswendig. Er wiederholte jedes Wort, jeden Augenblick, der über jemand anderen Rechenschaft ablegte. War das wichtig? Er hatte keine Ahnung. Aber er konnte es sich nicht leisten, etwas zu übersehen.
    »Ja«, sagte Carpenter müde.
    Narraway schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er ruhig. »Nicht, wenn Korporal Reillys Aussage stimmt darüber, was er an welcher Stelle gemacht hat. Dann war er hinter der Ecke, ohne Sicht auf das Gefängnis. Das kann so nicht stimmen. Einer von Ihnen stellt etwas falsch dar. Ist das ein Fehler oder eine Lüge? Denken Sie gründlich nach, bevor Sie antworten, Gefreiter.«
    Carpenter stand bewegungslos da. Narraways Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, dennoch konnte er Carpenters Gesichtsausdruck nicht erkennen. Er kniff ein paarmal die Augen zu, als störe ihn der aufgewirbelte Staub. Einmal wischte er mit dem Unterarm über sein Gesicht.
    Narraway wartete. Er fühlte sich schuldig. Der Mann, der vor ihm stand, zeigte keine Arroganz, keinen Zorn, aber in seinem Innern gärte etwas, es schien ihn etwas zu beschäftigen.
    »Wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen, könnte Tallis für etwas gehängt werden, das er gar nicht getan hat«, sagte er schließlich. »Ein guter Mann, ein Mann, den wir brauchen, wird dann ein Unrecht erleiden, das wir niemals wiedergutmachen können. War es ein Versehen, Gefreiter Carpenter, oder war es eine Lüge?«
    Carpenter kaute auf seiner Lippe herum.
    Wieder wartete Narraway. Einen Augenblick lang glaubte er schon, Carpenter sei im Stehen eingeschlafen.
    »Es war eine Lüge, Sir.« Im Dunkeln klang Carpenters Stimme gequält, als ob sein Mund zu trocken sei, um die Worte richtig herauszubringen.
    »Sind Sie weggegangen oder Reilly?« Narraway beruhigte sich etwas, jetzt, da eine Möglichkeit – eigentlich nur eine vage Vermutung – Gestalt

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