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Der weibliche Weg Gottes

Der weibliche Weg Gottes

Titel: Der weibliche Weg Gottes
Autoren: Karin Gerland
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Grenzen nicht kenne? Alles hat seine Zeit.

Auf dem Col de Somport

    Ich stehe mit meinem Elf-Kilo-Rucksack auf dem Col de Somport, inmitten der Pyrenäen, auf der Grenze zwischen Frankreich und Spanien, und mir ist ziemlich mulmig zumute. Jetzt geht es also los. Die erste Wanderetappe in ein neues Leben. Hier auf dem Pass ist dieses Prickeln unter der Haut, wenn ich mich umschaue, das schöne, aufregende Erlebnisse begleitet. Mein Herz schlägt schneller bei dem Gedanken, in den nächsten Wochen frei zu sein von allem, was mein Leben sonst ausmacht. Nicht zu wissen, was passiert, ob ich es überhaupt schaffe, ist, wenn es sich auf diese körperliche Herausforderung bezieht, ganz und gar nicht angstauslösend — schau an. Ich suche mit den Augen den Weg und sehe auf den Hängen unter mir erstes Grün zwischen letzten Schneeteppichen. Kleine Bäche fließen ins Tal. Die Sonne scheint, aber es ist schneidend kalt, der Wind pfeift über die Bergkuppe und die schneebedeckten Gipfel ringsum. Es ist dieses Gefühl von Frühling und Neubeginn, das unwillkürlich tiefer atmen lässt, leicht und beschwingt macht.
    Neben mir steht Walther. Wir sind als einzige Fahrgäste mit dem Bus auf den Pass gefahren. Der Fahrer hat bei Walther das Fahrgeld gleich doppelt kassiert. Klar: Ein Mann und eine Frau sind ein Paar. Wir haben gelacht und seitdem reden wir. Wie schwer unsere Rucksäcke sind, wie lange wir unterwegs sein wollen, was wir alles mithaben. Hier auf dem Pass ist mir kalt, obwohl ich alles auf dem Körper trage, was ich an warmer Kleidung dabeihabe.
    Also los, nicht lange stehen bleiben. Meine Achillessehne schmerzt, und ich mache mir Sorgen, ob sie die Anstrengungen aushalten wird. Mein Arzt hat mir geraten, lieber vorsichtig zu sein und nicht zu wandern. Ich habe mich entschlossen, lieber vorsichtig zu wandern. Walther und ich machen uns gemeinsam auf den Weg. Nun bin ich also doch nicht allein zu Beginn meines neuen Weges. Es hat mich gereizt, ohne Begleitung durch die Pyrenäen zu gehen, aber in Lourdes war auch die Angst vor dem langen Alleinsein da. In den Bergen auf sich allein gestellt zu sein, ist nicht ungefährlich, das ist mir schon klar. Nun gibt es aber eine ganze Reihe von Extremsportlern, die ihre Unternehmungen auch nicht davon abhängig machen, ob jemand mitkommt oder nicht. Aber zum einen bin ich kein Sportler und zum anderen eine Frau.

Die Sorgen der anderen

    Und du hast keine Angst als Frau allein? Nicht so sehr. — -- Und wenn du dich verletzt und kein Mensch da ist? Ich mache doch zu Hause auch einsame Wanderungen. — -- Es soll dort gefährliche wilde Hunde geben! Mit Hunden kenne ich mich aus.--- Und die spanischen Männer! Zu Hause kann mir doch auch alles Mögliche passieren.--- Und du nimmst doch hoffentlich Pfefferspray mit! Habe ich nicht vor.
    Meist mache ich mir wenig Gedanken um Verletzungen, Gewalt und angriffslustige Männer und Hunde. Ich war in Asien und in der Südsee nur mit einer Reisetasche unterwegs, habe in der Sahara meditiert und in einem Zelt geschlafen. Ein paar Mal hatte ich Angst um mein Leben.
    Allein war ich dabei selten, in der Natur nie einsam, aber manchmal im Beisammensein mit Menschen. Daran habe ich mich gewöhnt.
    Die Entscheidung, mich auf den Jakobsweg zu begeben, hatte ich drei Monate vorher intuitiv, aus dem Gefühl heraus getroffen, ohne mit dem Verstand darüber Rücksprache zu halten. Das kam erst später, als ich die Planung für die Reise machte, die erforderliche Ausrüstung kaufte und mit anderen darüber sprach. Im Beruf habe ich gelernt, Entscheidungen ganz rational zu begründen. Intuition wird oft belächelt, weil es dafür keine Beweise gibt, nur ein Gefühl, das sagt, tu es oder Finger weg. Es ist der Bereich des Spürens und Erahnens, von dem eine große Kraft ausgeht — so man sich selbst glaubt und Vertrauen zu sich hat. In diesem Fall hatte ich Vertrauen zu mir. Es war auch nicht so schwer, da es anfangs niemanden gab, den ich davon überzeugen wollte. Das änderte sich mit der Zeit.
    Zunehmend wurde ich mit den Sorgen und Bedenken der anderen konfrontiert. Im Mittelpunkt stand immer wieder mein Start, die ersten zwei Wochen wollte ich allein unterwegs sein. Dann würde sich eine Freundin anschließen. Der Druck nahm mit jedem Gespräch zu. Fast jeder hätte mich lieber in einer sicheren Gruppe gesehen. Zunächst konnte meine Euphorie alle Einwände abfedern. Aber irgendwann wurde ich mürbe und damit auch kleinlaut. Zu gefährlich, zu
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