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Der weibliche Weg Gottes

Der weibliche Weg Gottes

Titel: Der weibliche Weg Gottes
Autoren: Karin Gerland
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viel Risiko, ging es mir immer wieder durch den Kopf und bremste meine Energie.
    Angst ist wichtig im Leben, weil sie uns davor schützt, leichtsinnige, gefährliche Dinge zu tun. Mut ist etwas, das stärker ist als die Angst.
    Denn da, wo die Angst sitzt, gerade da, geht der Lebensweg oft weiter. Dort ist die größte Herausforderung und das persönliche Wachsen. Wenn wir wüssten, dass jedes Risiko zum Erfolg führt, wo wären da noch der Reiz und die Auseinandersetzung, wo der Stolz auf die eigene Entscheidung, wo die Dankbarkeit für Überraschungen? Die ausgetretenen Pfade scheinen meist sicherer, aber auch das ist ein Trugbild. Sicherheit gibt es nicht, nicht einmal dafür, dass die intuitiven Entscheidungen die besseren sind. Es ist wichtig zu gehen, wenn gehen angesagt ist, und zu verweilen, wenn eine Pause ansteht. Das ist die Lebenskunst: zu erkennen, was ansteht, und es zu tun. Nicht verharren, nicht flüchten. Das wollte ich lernen und beherzigen. Dahin würde mein Weg gehen.
    Alle Flüsse enden im Meer, aber wer kennt ihren Weg, wenn er am Ufer steht? Nur Mut! An diesem Punkt meiner Überlegungen gelang die Abgrenzung von den Ängsten der anderen. Ihre sorgenvollen Fragen und Ermahnungen waren vermutlich die Gründe, warum sie die Reise so nicht oder gar nicht angehen würden. Menschen können sich oft nicht vorstellen, dass andere Dinge tun und schön finden, vor denen sie selbst Angst haben. Das wird häufig in ängstliche und mahnende Fragen verpackt oder in Abwertungen. Nach dem Motto: Wenn du das schön findest, was ich mich nicht traue, dann kann mit dir etwas nicht stimmen.
    Damit war der Weg frei, auf mich selbst zu schauen. Was waren denn meine ureigensten Zweifel, Sorgen und Ängste? Wenn die anderen mich infizieren konnten mit ihren Bedenken, musste es auch eine Entsprechung in mir dafür geben. Zunächst fand ich das, was da an die Oberfläche geschwemmt wurde, zu trivial, um es wahrhaben zu wollen, aber es blieb dabei. Die Spitzenplätze meiner persönlichen Angst-Skala für diese Unternehmung waren: Hoffentlich werde ich nicht frieren und immer genug zu essen haben. Dagegen kann ich eine Menge tun, sagte ich mir.

Vom Wandern

    Kurz unterhalb des Passes ist mir so heiß, als würde ich in der Sauna joggen, und ich beschließe, dass nun der richtige Zeitpunkt ist, mich von der Regenjacke, dem zweiten Sweatshirt, dem zweiten T-Shirt und der zweiten Hose zu trennen. Ich fühle mich solange beschwingt und erleichtert, bis ich meinen Rucksack aufsetze, der jetzt fast zwei Kilo mehr wiegt, das ist fühlbar. Der Rucksack ist etwas schwerer geworden, als geplant. Das liegt zum Teil an den warmen Sachen, die ich zusätzlich mitgenommen habe und später nach Hause schicken werde. Auch mein Proviant reicht nicht nur für heute. Von den Müsliriegeln esse ich noch Tage später.
    Walther und ich haben genau die gleiche Geschwindigkeit. Jeder geht mal vorne und bestimmt das Tempo — es passt gut. Nun bin ich also doch nicht allein auf meiner ersten Etappe, wie schön. Insgeheim hatte ich mir das am Tag vorher auch gewünscht.
    Die Landschaft ist berauschend schön. Vermutlich wird hier zur Skisaison die Hölle los sein. Jetzt ist es ganz einsam, nur in den kleinen Orten begegnet uns von Zeit zu Zeit ein Mensch. So geht es den ganzen Tag bergab. Nur 15 Kilometer schaffen wir nach meinen Berechnungen am ersten Tag, Walther sagt 18 Kilometer. Von nun an verlassen wir uns auf seinen Reiseführer.
    Die erste Herberge ist auch der erste große Schock. Der Wirt gibt Walther mit feistem Grinsen einen Schlüssel — einen! Ich spreche kaum spanisch, und vor lauter Schreck würden mir jetzt sowieso nicht die richtigen Worte einfallen. Also mache ich ihm in der internationalen Zeichensprache klar: Schau her, Junge, kein Ring am Finger, wir nicht verheiratet, ich eigenes Zimmer, ich zweiten Schlüssel. Als er auch nach dem dritten Anlauf keinen zweiten Schlüssel rausrückt, kapituliere ich. Das Zimmer hat zwei Stockbetten, so ist wenigstens genug Platz für zwei. Es ist kalt und es gibt keine Heizung. Ich drücke auf meine Matratze, fühle die Kälte, die sich tief im Inneren eingenistet hat. Hier ist vermutlich den ganzen Winter über nicht geheizt worden.
    Ausgehungert, wie wir sind, noch fest verhaftet an heimische Restaurantzeiten, wollen wir um 18.00 Uhr essen. Alles, was es um die Zeit gibt, ist ein Boccadillo, ein dünnes, langes Weißbrot mit Schinken oder Käse oder Eiern. Ich hätte gerne ein Boccadillo
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