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Der weibliche Weg Gottes

Der weibliche Weg Gottes

Titel: Der weibliche Weg Gottes
Autoren: Karin Gerland
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und zunächst einmal grüne Wege, die hinauf führen. Über uns der Himmel strahlend blau. Die Einsamkeit und Ruhe auf den Wegen tun der Seele gut. Es ist schön zu schauen, ohne alles zu kommentieren. Dazu wäre ich auch schon nach kurzer Zeit nicht mehr in der Lage, weil die Luft bei der Anstrengung knapp wird, es geht steil bergauf. Immer weiter, und nach einem kurzen Abstieg wieder bergauf. Es ist mühsam mit dem Rucksack auf dem Rücken. Es gilt die richtige Einstellung der Gurte zu finden. Ein Rucksack kann dich den Berg wieder runterziehen oder sich hilfreich auf die Schultern legen und sogar ein bisschen beim Aufstieg helfen.
    Nach Stunden erreichen wir eine Asphaltstraße und haben den höchsten Punkt erreicht. Vor Begeisterung schreie ich mir viel Kraft aus den Lungen, die ich später noch gut hätte gebrauchen können, getreu dem Motto: Lächele und sei froh, denn es könnte schlimmer kommen. Und ich lächelte und war froh — und es kam schlimmer.
    Die Straße führt uns zum ersten der zwei Klöster am Weg. Es ist schön, am Kiosk unter den Bäumen zu sitzen und ganz dekadent eine Cola zu trinken, Pommes rotweiß sind auch im Angebot. Wir sind wieder in der Zivilisation, sitzen auf Holzbänken mit Blick auf die Straße, schauen den vorbeifahrenden Autos nach, in denen Wochenendausflügler Sightseeing machen. Ich freue mich, sie zu sehen, und ich freue mich, meinen Weg zu gehen, kein „ich mache es besser als ihr“. Das ist sehr verbindend.
    Wir treffen auf eine junge Spanierin. Sie kennt den Camino, ist im Urlaub immer wieder Teilstücke gewandert und erklärt den heutigen Weg zum schlimmsten Teilstück. „It is the worst“, sagt sie uns. Es ist das schlimmste Stück, aber wunderschön. Dabei kennt sie den Abstieg noch nicht. Auf dem Weg bergab liegen dicke runde Stein, die jeden Schritt zu einer Wackelpartie machen. Meine Achillessehne schreit gequält auf. Meine Knie zittern, ich habe Angst zu fallen. So geht es über Stunden.
    Und wenn wir es nicht schaffen, bevor es dunkel wird? Im Schein meiner Taschenlampe möchte ich diesen Weg auf keinen Fall gehen. Die Urängste finden ihren Weg an die Oberfläche. Ich sehe mich schon zusammengekauert, frierend und ohne etwas zu essen unter einem Dornenbusch übernachten. Angst betrifft immer die Zukunft. Aber sie lässt uns straucheln, macht unsicher, zieht Energie ab, wo wir sie am dringendsten brauchen. In der Gegenwart ist dies nur ein schwieriger Weg, der Konzentration und ein paar Pausen mehr erfordert. Traubenzucker und Wasser mobilisieren kurzzeitig körperliche Reserven, und gleichzeitig verschwindet die Angst. Ein so simpler Zusammenhang zwischen Körper und Geist, zwischen dem Jetzt und der Zukunft, die mit dem nächsten Schritt beginnt. Weiter.
    Die Büsche hören unvermittelt auf. Wir haben Santa Cruz de la Serós erreicht, 25 Kilometer mit einem Aufstieg von 1000 Höhenmetern. Nicht schlecht mit dem Rucksack — und meiner Kondition. Hier erwartet uns ein kleines Hotel mit freundlichen Jalousien vor den Fenstern, kein Refugio mit Gemeinschaftsdusche und Schnarchkulisse wie in Jaca, dafür mit Einzelzimmern. Während das heiße Wasser meinen Schweiß abspült und gleichzeitig meine Kleidung wäscht, die zu meinen Füßen liegt, ich bin ein praktisch veranlagter Mensch, traue ich mich zum ersten Mal laut zu sagen, was ich bisher vorsichtig mit einigen Wenns und Abers für mich gehofft habe: Ich schaffe den Camino zu Fuß. Ich werde den ganzen Weg gehen. Gut 50 Kilometer liegen erst hinter mir, fast 800 Kilometer noch vor mir bis Santiago de Compostela, über Hügel, durch Täler und Wälder, über Straßen, Schotterwege, Felder und durch Städte. Diese 800 Kilometer will ich laufen.

Das Paradies ist genau hier

    Der Reiz liegt eben doch in der Herausforderung, nicht in der Hängematte. So einfach sind Veränderungen nicht, es reicht nicht, wenn der Kopf sagt, ich will es ab sofort anders machen, mich nicht mehr so verausgaben. Vitalität, Bewegung und Anstrengung sind auch etwas sehr Schönes, wenn sie aus dem Spaß am Leben entstehen — nicht aus dem Zwang, sich beweisen zu wollen. Auch während der nächsten Tage werde ich jeden Hügel rauflaufen, um dann festzustellen, dass der Weg ganz bequem unten weitergeht. Das Leben ist gar nicht so anstrengend, wie ich es mir oft mache, aber es macht Spaß und es wird zunehmend lustiger, über mich zu lachen.
    Der Camino ist wie ein Leben in Kurzform. Alles, was ansteht, alle Fragen, Herausforderungen,
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