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Der weibliche Weg Gottes

Der weibliche Weg Gottes

Titel: Der weibliche Weg Gottes
Autoren: Karin Gerland
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für meine Qualen. Die sind anders gelagert, müssen anders bearbeitet werden, denke ich auf meiner Bank im Sonnenschein. Da kann kein Wunder helfen, es ist die Arbeit eines geschulten Verstandes, der um die Zusammenhänge und Abläufe von Trennung und Loslösung weiß und dieses Wissen jetzt auf das eigene Erleben anwenden wird. Diese Menschen hier haben nichts mit mir gemeinsam.
    In Lourdes denke ich noch, es ist mein fehlender Glaube, der mich so distanziert fühlen lässt. Viele Tage später spreche ich mit einem katholischen Priester über den Ort. Er öffnet mir einen anderen Blickwinkel. Behinderte genießen es, in Lourdes zu sein. Oft ist es die einzige Möglichkeit, rauszukommen, eine Reise zu machen, weil die Hindernisse im täglichen Leben so groß sind und der Geldbeutel so klein. In Lourdes fühlen sie sich als Gleiche unter Gleichen. Hier ist es normal, behindert zu sein. Wer hier gesund ist, ist quasi nicht normal, gehört nicht dazu. Eine große Anzahl Betreuer kümmert sich um sie, es gibt viel mehr Zeit als zu Hause im Alltag und es kommt zu wirklichen Begegnungen mit hoher Intensität.
    Mit einem Schlendern durch den Bezirk der Grotte vertreibe ich mir die Zeit. Mein Zug fährt am späten Nachmittag weiter, mal sehen, was es hier noch zu entdecken gibt. Die Menschen um mich herum trinken Wasser aus der Quelle, füllen es in Becher und Flaschen. Das Wasser soll die Wunder bewirkt haben, die bis zum heutigen Tage angeblich andauern. Ob das auch bei denen wirkt, die nicht daran glauben? Ob davon auch ein krankes Herz geheilt werden kann? Schaden kann es ja nicht. Mir fällt der Gottesbeweis ein, der mich vor Jahren fasziniert hat, weil ihn ein klarer Verstand mit den Mitteln der Logik aufgestellt hat: Angenommen, es gibt Gott, dann ist es gut, an ihn zu glauben. Angenommen, es gibt ihn nicht, dann ist es auch egal, ob wir an ihn glauben oder nicht. Wenn es ihn aber gibt und wir glauben nicht an ihn, könnte das für uns unangenehme Konsequenzen haben, falls er darüber ärgerlich wird. Die sinnvollste, weil logische Konsequenz ist folglich: Es ist gut an Gott zu glauben, gleichgültig, ob es ihn gibt oder nicht. Warum sollte ich das nicht auch auf die Wunder übertragen können, denke ich schmunzelnd. Glauben und Zweifel sind immer die zwei Seiten einer Münze — warum mich jetzt für eine Seite entscheiden? Also trinke ich.
    Vielleicht kann ein Gebet auch nicht schaden, irgendwie gehört es zum Wasser dazu, wenn es wirken soll, denn neben der Quelle ist Maria erschienen. Lourdes ist allein Maria geweiht, habe ich gerade erfahren, hier ist nur ihr Platz. Also richte ich mein erstes Gebet an sie. Mit Frauen verstehe ich mich im Moment sowieso besser, fühle mich eher verstanden. Es klingt etwas holprig in mir, schließlich habe ich noch nie mit ihr gesprochen:
    „Hallo Maria, ich weiß nicht, ob es dich gibt, und ob das stimmt, was hier berichtet wird, ich habe so meine Zweifel. Aber falls es dich doch gibt, dann wirst du mich jetzt auch hören. Es wäre schön, wenn du mir für meine Wanderung Kraft geben würdest. Vor dem Start allein in den Pyrenäen habe ich doch etwas Angst, so stark fühle ich mich gar nicht, wie ich immer tue, aber jetzt bin ich unterwegs und ändern kann ich nichts mehr daran. Meine Achillessehne tut mir weh, schon seit Monaten, und ich habe Angst, dass ich damit nicht wandern kann. Würdest du mir bitte helfen und sie beruhigen? Natürlich kannst du tun, was du für richtig hältst, aber schön wäre es schon. Wenn es dich gibt, dann wirst du schon wissen, was gut ist für mich. Dein Wille geschehe.“
    Danach lasse ich mich weiter treiben. Mir ist heute Morgen aufgefallen, dass Lourdes eine Shopping-Meile ist, das setzt sich auch hier, rund um die Grotte fort. Kommerz in allen Preislagen. Das ist verlockend, also werfe ich eine Zehn-Franc-Münze in einen Automaten, der mir drei verschiedene Lourdes-Medaillen offeriert. Es wird ein gutes Geschäft für mich, denn die Münze die rauskommt, ist viel größer als mein Zehn-Franc-Stück. Ich habe mich für eine Münze entschieden, auf der Maria als junge Frau ohne Kind abgebildet ist und auf der anderen Seite ihre schöne Kathedrale auf dem Hügel. In meinem Rucksack sind ausschließlich nützliche Sachen, kein unnötiges Gewicht, kein Schmuckstück, nur ein Foto meines Hundes im Tagebuch — fürs Herz und zum Liebhaben. Maria wandert erst mal in die Hosentasche. Ich könnte sie als Talisman mitnehmen, der mir Glück bringen
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