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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu
Autoren: Wilfried Steiner
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heißgeliebte
Rationalität, hier war sie in eine Paradoxie geschlittert: Der einzige Gedanke,
der die einzelnen Teile logisch zusammenfügte, war so absurd, daß er sich nicht
denken ließ.

Fünfundzwanzig Nein, keine Theorien, nur die Fakten. Eine Liste, Reihenfolge beliebig:
    Drei Jahrhundertgedichte,
geschrieben in einem Jahr, von Herbst bis Herbst.
    Anonyme Veröffentlichung des Ancient
Mariner in den Lyrical Ballads, Veröffentlichung von Kubla Khan und Christabel achtzehn Jahre später in Sybilline Leaves.
    Rapider körperlicher und
seelischer Verfall ab 1799. Ungeklärter Tod des Sohnes Berkeley.
    Schuldgefühle bis zum Ende des
Lebens. Pathologische Angst um das Leben der Kinder.
    Flucht in obskure Mystizismen
und Metaphysik (sein eigenes Zimmer gleichsam mit Kruzifixen verbarrikadiert,
gegen die Bedrohung von außen; wie ein irrer Priester nach einer
Höllenerfahrung in einem von Daniels B-Movies).
     
    Etwas strich um meine Füße — es
war Hendersons Kater, das Tier ohne Namen; ich fütterte ihn mit Käsestückchen.
Rätselhafte Passagen in den Briefen und Notizbüchern. Oder erhellende — kommt
ganz auf die Perspektive an.
    »Einmal erzählte ich einer
Lady, der Grund, warum ich nicht an Geister glaube, sei, daß ich selbst zu
viele von ihnen gesehen habe.« Zugegeben, ein launiges Bonmot erhellt noch gar
nichts.
    »Der Horror meines Schlafes und
meiner nächtlichen Schreie — nichts als die Torturen der Schuld, Bestrafungen
der spirituellen Welt.« Wofür sollten ihn die Geister so mitleidlos bestrafen?
    »O könnte ich doch den Pakt
durchbrechen, der mich an mein Blut bindet!«
    Welchen Pakt? Wieder bloß eine
Metapher?
    »Lebendige Blitzlichter zu
Mittag, der Schrecken ohne die Schönheit. Ein lebender Geist bei Tageslicht:
Geraldine.« Da war er gerade in Syrakus, hatte mit der Schauspielerin Cecilia
Bertozzi — »eine Sirene, gegen deren Hexenkünste sich das Wachs des Odysseus
bestenfalls als halber Schutz entpuppt hätte« — endlich wieder ein paar
unbeschwerte Wochen verbracht. Nach der Erscheinung von Geraldine sollte er
Cecilia nie wiedersehen.
     
    Zahlenspiele, sicher auch
reiner Zufall:
    Die seltsame Conclusion to
Part Two von Christabel wurde von Coleridge erst später hinzugefügt.
Mit der Conclusion umfaßt die Ballade 677 Zeilen, ohne sie 655. Die
arithmetische Mitte: 666 .
    Achtzehn Jahre später die
Veröffentlichungen, achtzehn Jahre: dreimal die Sechs.
    Die Zahl des Tieres aus der
Apokalypse. Für die Christen das Böse schlechthin.
    Dreimal die Sechs: das Zeichen
der dreifältigen Göttin, dreimal die Form des Mondes: 666 . Zum Zeichen
des Teufels umgelogen von einem ängstlichen Eiferer im Dienst des Einen
männlichen Gottes.
     
    Der Kater schien mich zu mögen.
Mußte ihm einen Namen geben.
     
    John Keats kannte die weiße
Frau wohl auch, er nannte sie La Belle Dame sans Merci, »ihr Haar war
lang, ihr Fuß war leicht / Und ihre Augen wild.« Den Ritter, den sie in ihre
Elfengrotte entführt, füttert sie mit Manna und Honig und wiegt ihn in den
Schlaf. Sein Traum ist schrecklich: er sieht bleiche Könige und Fürsten, alle
totenstarr, sieht »ihre ausgezehrten Lippen in der Dunkelheit / mit
fürchterlicher Warnung weit klaffend«; für den Rest seines Lebens trägt er auf
der Stirn »eine Todeslilie / Mit Angstschweiß und mit Fiebertau, auf seinen
Wangen eine blasse Rose / Die rasch verwelkt«.
    Im selben Brief an seinen
Bruder George vom z8. April 1819, der die erste Abschrift der Belle Dame
sans Merci enthält, erwähnt Keats, er habe gerade Coleridge und dessen
Freund Green bei einem Spaziergang an den Highgate Ponds getroffen. Auch von
Coleridge selbst ist diese Begegnung überliefert. Keats habe, so erzählt
Coleridge, gebeten, seine Hand drücken zu dürfen, um die Erinnerung an dieses
Treffen mit sich zu nehmen.
    »In dieser Hand«, sagte
Coleridge zu Green, als Keats gegangen war, »ist der Tod.«
    Ein Jahr später starb John
Keats an einer Arterienblutung in den Lungen.
    Im Jahr der Niederschrift der Belle
Dame veröffentlichte Walter Scott (Wordsworth’ Frühstücksflüchtling) in der
Anthologie Border Minstrelsy die Ballad of Thomas the Rhymer. Darin wird Thomas von Erceldoune von einer weißgekleideten Lady auf einem
ebenso weißen Pferd entführt.
    Sie erreichen einen
verwilderten Garten, und Thomas erkennt, wen er vor sich hat: die Königin des
Elfenlandes. Sie reicht ihm Speisen und Rotwein, bettet nach dem Mahl seinen
Kopf in ihren Schoß und verspricht
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