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Der Weg Nach Tanelorn

Der Weg Nach Tanelorn

Titel: Der Weg Nach Tanelorn
Autoren: Michael Moorcock
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gewöhnt, ihre nackten Gesichter zu zeigen, obwohl natürlich einige sich damit nicht abfinden konnten und erst bestraft werden mussten, ehe auch sie sich fügten. Die Tierorden gab es ebenfalls nicht mehr. Königin Flana hatte die Menschen ermutigt, die engen, überfüllten Städte zu verlassen und sich ein neues Heim in den so gut wie verlassenen ländlichen Gegenden zu schaffen, wo es riesige Eichen-, Ulmen und Nadelwälder gab. Viele Jahrzehnte hatte ’Granbretanien von seinen Raubzügen gelebt, jetzt musste es sich selbst ernähren. Deshalb wurden die Soldaten der ehemaligen Tierorden dazu abkommandiert, einen Teil der Wälder zu roden, Vieh zu züchten und Getreide anzubauen. In den einzelnen Gegenden wurden Räte ernannt, um die Interessen ihrer Gemeinden zu vertreten. Königin Flana hatte auch ein Parlament zusammengestellt, das sie beriet und ihr half, gerecht zu regieren. Es war erstaunlich, wie schnell aus einer kriegerischen Nation, einer Nation mit fast ausschließlich militärischem Kastengefüge, ein Staat von tüchtigen Landleuten wurde. Der Großteil des Volkes widmete sich erleichtert seinem neuen Leben, nachdem es ihm klar geworden war, dass es jetzt frei von jenem Wahnsinn war, der einst das ganze Land verseucht hatte – mit der Absicht, sich über die ganze Welt auszubreiten.
    Und so vergingen die Tage auf Burg Brass, einer so friedlich wie der andere.
    So wäre es auch weitergegangen (bis Manfred und Yarmila erwachsen waren, Falkenmond und Yisselda zufrieden alt wurden und schließlich glücklich im Bewusstsein starben, dass die Kamarg ungefährdet war und die Tage des Dunklen Imperiums nie wiederkämen), wenn sich nicht im Spätsommer des sechsten Jahres nach der Schlacht von Londra etwas Seltsames angebahnt hätte. Dorian Falkenmond musste nämlich zu seiner Überraschung feststellen, dass die Menschen von Aigues-Mortes ihn in immer größerer Zahl mit merkwürdigen Blicken bedachten, wenn er sie auf der Straße grüßte. Manche blickten sofort zur Seite, und andere murmelten etwas Unfreundliches vor sich hin.
    Wie früher Graf Brass nahm inzwischen auch Falkenmond regelmäßig an dem großen Erntedankfest am Ende eines langen, arbeitsamen Sommers teil. Zu diesem Anlass wurde Aigues-Mortes großzügig mit Blumen, Bannern und Wimpeln geschmückt, die Bürger warfen sich in ihren besten Staat, junge weiße Stiere durften, wie es ihnen Spaß machte, ungehindert durch die Straßen tollen, und die Hüter von den Wachtürmen schlüpften in ihre auf Hochglanz polierten Rüstungen, warfen ihre Seidenumhänge darüber, nahmen ihre Flammenlanzen in die Hand und schwangen sich auf ihre Pferde, um sich vom Volk bewundern zu lassen. Es gab Stierkämpfe in der uralten Arena am Rand der Stadt. Hier hatte Graf Brass dereinst das Leben des großen Matadors Mahtan Just gerettet, als er von einem mächtigen Bullen aufgespießt und fast getötet worden wäre. Graf Brass war in die Arena gesprungen und hatte das Tier mit bloßen Händen bezwungen. Der Jubel der Massen war unvorstellbar, denn Graf Brass war schon damals nicht mehr der Jüngste gewesen.
    Doch jetzt wurde das Fest nicht allein mehr für die Kamarganer veranstaltet. Abgeordnete von überall in Europa kamen, um die Überlebenden der großen Schlacht von Londra zu ehren, und Königin Flana hatte bereits zweimal zu diesem Anlass einen Besuch auf Burg Brass gemacht. In diesem Jahr war die Königin jedoch durch dringende Staatsaffären verhindert.
    Falkenmond war sehr erfreut, dass Graf Brass’ Traum von einem geeinten Europa sich offenbar zu verwirklichen begann. Die Kriege mit Granbretanien hatten geholfen, die alten Grenzen niederzureißen, und die Überlebenden hatten sich zusammengeschlossen. Europa bestand zwar immer noch aus Tausenden von kleinen Provinzen, jede unabhängig von den anderen, aber an vielen Projekten für das Allgemeinwohl arbeiteten sie gemeinsam.
    Die Botschafter und Gesandten kamen aus Skandien, Muskovia, Arabien, den Ländern der Griechen und Bulgaren, aus Ukrania und Katalanien. In Kutschen, auf den Rücken edler Pferde reisten sie herbei, aber auch in Ornithoptern, die jenen der Granbretanier nachgebaut waren. Sie brachten Geschenke und hielten Ansprachen, und sie redeten von Dorian Falkenmond, als sei er ein Halbgott.
    In den früheren Jahren hatten ihre Elogen die allgemeine begeisterte Zustimmung der Kamarganer gefunden. Aus irgendeinem, Falkenmond unerklärlichen Grund, bekamen sie jedoch heuer nicht den gleichen Applaus
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