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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Baumes. Damals war er erschrocken. Später hatte er sich nicht mehr erschreckt, weder vor den stürzenden Bäumen, noch vor dem fluchenden Pflegevater, noch vor Prügeln. Eine ganz schwache Erinnerung besaß er daran, daß er einmal seiner Pflegemutter hatte helfen wollen, als diese von ihrem Mann halb zu Tode geschlagen wurde. Der Erfolg war nur der, daß die Pflegeeltern sich vereint auf ihn stürzten und er mit knapper Not sein Leben rettete. Er war also dumm gewesen, das war der Schluß, den er selbst aus dem Erlebnis zog, und jedenfalls verspürte er nie wieder Lust, einem anderen zu helfen. Er lernte sehr früh Bäume fällen, Schnaps trinken, rauchen, fluchen, schießen und mit dem Messer stechen. Einmal beteiligte er sich an dem Überfall auf eine der Postkutschen, die den Ost-West-Verkehr in dem riesigen Lande durch die Wildnis hindurch vermittelten. Er war damals kaum dem Knabenalter entwachsen und sah zum erstenmal in seinem Leben Leute in kostbaren Kleidern und viel Geld in einer einzigen Börse, die er verschwinden ließ, ehe seine Raubgenossen etwas davon merkten. Mit der Börse verschwand er selbst in den Prärien, kaufte sich von einem der Grenzhändler eine vorzügliche Büchse und ging von da an allein und völlig selbständig auf Raub aus. Sein bedeutendster Fang war einer der berittenen Geld- und Telegrammboten. Dieser Bursche ritt ein schnelles und ausdauerndes Pferd, war auch sehr gut bewaffnet. Aber es gelang dem jungen Räuber, ihn im Wald zu überraschen und zu überwältigen.
    Zum letzten Mal in seinem Leben hatte er diesem Burschen gegenüber so etwas wie ein Mitgefühl mit einem Menschen empfunden, ehe er ihn umbrachte. Der andere weinte und flehte um sein Leben und sagte, daß er ein Waisenkind sei. Natürlich, was war anderes zu erwarten gewesen, für das gefährliche Botengewerbe wurden fast nur Waisenkinder angestellt, deren Tod keine Scherereien verursachte. Eben darum tat es dem jungen Räuber, der selbst ein Waisenkind gewesen war, einen Moment leid um den Burschen. Aber er überwand sein Gewissen mit einem Ruck endgültig und führte den tödlichen Stoß. Obgleich er mit einem großen Teil seiner Beute, den Kreditpapieren, nichts anzufangen wußte, war die übrige Ausbeute noch reich genug. Aber der junge Räuber hatte nicht gelernt, mit Geld umzugehen und noch mehr Geld daraus zu machen. In Spelunken und Schenken, bei Spiel und Schnaps liefen ihm die Münzen durch die Finger wie Wasser, und er schloß daraus, daß es zwar schön sei, reich zu sein, daß es aber nur Sinn habe, Geld zu besitzen, wenn man es in ungeheuren, unermeßlichen Maßen besaß, die ein Menschenleben hindurch kein Ende nahmen.
    Er hatte bei den Truppen der Südstaaten und auch bei den Truppen der Nordstaaten im mehrjährigen Bürgerkriege Kundschafterdienste angenommen und war im Kriege zum legalisierten Räuber geworden, aber auch das hatte nicht genug gebracht.
    Gold mußte man finden! Irgendwo, wo kein anderer es suchte und wo man allein Herr wurde über unerschöpfliche Schätze der Erde. Heute in der Nacht, heute in dieser Nacht, mußte es ihm endlich gelingen, ein sagenhaftes Goldvorkommen aufzuspüren, zu dem noch kein anderer gelangt war, jedenfalls noch kein Mensch mit weißer Haut! Der Mann befühlte im Dämmer seines Verstecks und der gebrochenen Helligkeit des sinkenden Tages seine Perücke und lächelte befriedigt vor sich hin. Sein Gesicht war bartlos, denn er rasierte sich sorgfältig; das war der einzige Luxus, sein einziges Steckenpferd, davon ließ er nicht ab. Sonne und Wind hatten seine Haut der eines Indianers ähnlich gemacht. Als Perücke trug er einen gut hergerichteten Dakotaskalp mit zwei schwarzen Zöpfen. Es war die Kopfhaut einer Frau, die er ermordet hatte. Seine Füße waren mit weichen, elchledernen Mokassins beschuht. Ein Pferd hatte er nicht bei sich. Er hatte es in der Prärie frei laufen lassen, um jedweden Verfolger zu narren und glauben zu machen, daß er tot sei. Denn in der Prärie auf ein Pferd verzichten, das konnte nach den Vorstellungen der Indianer nur ein Toter oder ein Wahnsinniger. Für wahnsinnig aber würde ihn niemand halten, der seinen Namen kannte. The Red oder Red Jim oder Red Fox oder wie er auch immer genannt werden mochte, war für seine sichere Hand und seinen sicher rechnenden Verstand in einigen Landstrichen schon berühmt, obgleich er erst zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt sein konnte. Heute in der Nacht wollte er zum zweitenmal geboren
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