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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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werden. Das erstemal war es ihm nur geglückt, als ein armer Teufel auf die Welt zu kommen. Jetzt aber würde er ein reicher Herr werden. Ein unerschöpflich reicher Herr würde er sein, in diesem zweiten Leben!
    The Red rührte sich, kroch aus seinem Versteck und kletterte noch einmal auf den Baum, um Ausschau zu halten. Der Abend war so einsam und still wie der Mittag.
    Da ließ sich der Mann wieder herunter und machte sich auf den geplanten Weg. Die Säcke mit Fleisch und Wasser, selbst seine Büchse ließ er in seinem Versteck zurück. Er mußte die Hände frei haben. Bedächtig, ohne jede Hast, immer mit der gleichen lückenlosen Aufmerksamkeit und Vorsicht, bewegte er sich zwischen Stämmen, Zweigen, Wurzeln und Gebüsch im Windbruch aufwärts und gewann endlich den Wald. Er befand sich jetzt etwa dreihundert Meter höher als bei seiner Begegnung mit dem Braunbären. Ehe er weiter in den Hochwald eindrang, schaute er noch einmal über den Hang zurück und lauschte angestrengt. Es war schon dunkel geworden, Fledermäuse flatterten unter einer Baumkrone hervor, schwebten umher und jagten. Sonst rührte sich nichts. Der Mann schlich weiter waldaufwärts und hielt sich etwas nach links. Die Gegend war ihm gut bekannt. Er konnte nicht irregehen. Der Waldhang wurde noch steiler, und der Mann nahm sich weiterhin in acht, um keine Spuren zu hinterlassen, die bei Tage für unerbetene Nachforschungen sichtbar wurden. Zwar hatte er sich überzeugt, daß sich rings im Wald kein Indianerlager mehr befand und auch keine weißen Jäger oder Holzfäller unterwegs waren. Aber vor Überraschungen mußte man in der Wildnis immer auf der Hut sein.
    Es war schon Mitternacht, als The Red an einer Felswand anlangte, die aus dem Waldhang herauswuchs und die tieferstehenden Bäume überragte. Oberhalb der Wand setzte der Baumwuchs wieder ein. The Red kletterte am Felsen hoch. Er hatte die Mokassins ausgezogen und eingesteckt und kletterte mit bloßen Füßen. Zehen und Finger einkrallend, zog er sich langsam über die Vorwölbung im Felsen in die Höhe. Er war sehr groß, das kam ihm hier zugute. Mit seinen langen Armen und Beinen konnte er weit umhertasten und auch entfernte Griffe und Tritte erreichen und ausnutzen.
    Endlich hatte er es geschafft. Er gelangte zu dem Eingang der Höhle, den er nach der Beschreibung des zahnlosen Ben kannte und durch den er eindringen wollte. Er dachte jetzt nicht mehr daran, daß er ein großer Herr werden und in Saus und Braus leben wollte; er konzentrierte seine Gedanken und seinen Willen nur noch auf den jeweils nächsten Schritt und Tritt.
    In der Höhle brauchte er kaum zu befürchten, daß er Spuren hinterließ. Er mußte nur nicht allzu gewaltsam mit den sonderbaren Felsgebilden umgehen, die vom Boden auf- und von der Decke herabwuchsen. Ihre Spitzen durfte er nicht abbrechen. Das ließ sich leicht vermeiden.
    The Red kam verhältnismäßig schnell voran. Der Höhlenboden senkte sich, und aus der Tiefe des Berges drang das Dröhnen, dessen Natur dem Eindringling schon von dem zahnlosen Ben beschrieben worden war. Tief im Berg stürzte eine Quelle als Wasserfall durch Höhlenarme abwärts. Dieser Wasserfall war es, der dem zahnlosen Ben im Frühling gefährlich geworden war. The Red würde sich geschickter verhalten und sich nicht von dem Wasser hinabreißen lassen. Ein Wunder, wahrhaftig, daß der Zahnlose den Tücken dieser Höhle noch entkommen war. Mehr Glück als Verstand hatte der Schleicher gehabt. Nun ließ er es sich in seiner Handelsspelunke am Niobrara wohl sein und verdiente sein Geld mit weniger Gefahr. The Red hatte dem zahnlosen Esel diesen guten Rat für sein weiteres Leben gegeben. Ben würde sich nie mehr in der Höhle sehen lassen, davon war The Red überzeugt. Er allein beherrschte dieses Revier. Der Mann erreichte die Stelle, an der das Wasser aus einem rechter Hand aufsteigenden Höhlenarm herunterschoß, den Hauptgang kreuzte und linker Hand donnernd in die Tiefe hinabstürzte. The Red machte hier halt, setzte sich an den Rand des Wassers, bückte sich und erfrischte sich mit einem Schluck. Das eiskalte Wasser schmeckte nicht schlecht. Goldwasser, dachte der Mann. Der Moment der Ruhe rief sogleich wieder seine Phantasie wach. Er gestattete sich eine Pfeife. Mit großer Ruhe und Überlegung und mit erfrischten Kräften wollte er jetzt ans Werk gehen. Er klopfte die Pfeife aus, so daß der Tabak in das Wasser fiel, hängte sie wieder an der Schnur um den Hals und erhob sich.
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