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Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
Autoren: Jamil Ahmad
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zu lachen und zu scherzen, blieben Afzal Khans Frauen in ihren Zimmern, außer wenn sie zusammen hinaus zum Hang gingen, wenn die Sterne noch funkelten. Unterbrochen wurde die Eintönigkeit ihrer Tage nur durch die Mahlzeiten, Tee und
kababs
, die Afzal Khan ihnen zweimal am Tag brachte.
    Durch den Zustrom von Menschen machte der
kabab
-Laden blendende Geschäfte. Der Eigentümer hatte sein Transistorradio nach draußen gebracht und ließ es den ganzen Tag lang laufen, ohne es auch nur für die Nachrichten oder die englischsprachigen Kricketkommentare abzuschalten. Sein Laden erwies sich als behaglicher Treffpunkt für die Männer, die sich aus allen Ecken des Landes hier eingefunden hatten und jetzt Tabak kauend und spuckend in Grüppchen herumsaßen – manche auf Holzbänken und -stühlen, andere auf Gurtbetten, die man im Freien aufgestellt hatte. Das Essen von
kabab
und das Trinken von Tee schien durch nichts unterbrochen zu werden. Die Bastardhündin des Hauses mit ihren Welpen würdigte – jetzt nicht mehr hungrig – die auf dem Boden herumliegenden Essensreste keines Blickes.
    Afzal Khan wurde während dieser Zeit von etlichen Männern angesprochen, die Näheres über seine Frauen wissen wollten. Manche wies er schroff ab, da er sie instinktiv als Aasgeier erkannte – Streuner, die von Dorf zu Dorf, von einem Marktflecken zum nächsten wanderten und versuchten, von den Brosamen zu leben, die ihnen entweder als Almosen oder als Provision für ihre Tätigkeit als Mittelsmänner hingeworfen wurden. Dann gab es andere, mit denen er geduldiger war, obwohl er wusste, dass es sich um unbedeutende Figuren handelte, die den Preis, den er für seine Frauen angesetzt hatte, nie würden aufbringen können. Es gab nur drei Männer, die er als gute Kunden erachtete. Zwei von ihnen kannte er seit langem, da sie regelmäßig die Großstadtbordelle belieferten, und der dritte war ein junger Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er schien sich für Shah Zarina zu interessieren und hatte sich von ihrem Preis nicht abschrecken lassen – wenngleich er sich deutlich empört darüber gezeigt hatte.
    Afzal Khan schilderte den Kunden den Hintergrund der zwei Frauen. Sherakai, erklärte er ihnen, war bei einem Überfall entführt worden, hatte aber fliehen können und war nach Hause zurückgekehrt, nur um festzustellen, dass ihr Mann sich eine jüngere Frau genommen und mit ihr einen Sohn bekommen hatte. Ihre Schwiegermutter, die nie viel von ihr gehalten hatte, ließ keine Gelegenheit aus, Sherakai unter die Nase zu reiben, dass sie unfähig gewesen war, der Familie Söhne zu schenken.
    Während die Wochen vergingen, wurde Sherakai immer verzweifelter. Die Schadenfreude ihrer Schwiegermutter kannte keine Grenzen. Wenn die neue Ehefrau sich einfach nur über ihren Triumph gefreut und sie vergessen hätte, dann wäre es nicht so schlimm gewesen. Doch hatte Sherakai früher nur mit Sticheleien und Andeutungen zu kämpfen gehabt, gaben sich die neue Frau und ihre Schwiegermutter nun alle Mühe, sie auf jede erdenkliche Weise grausam zu verletzen, sie lächerlich und verächtlich zu machen. Eines Tages dann schlugen sie Sherakai vor ihren Töchtern mit Stöcken und lachten über ihre Schreie.
    »Da rannte sie davon, und ich lief ihr zufällig über den Weg«, sagte Afzal Khan. »Sie behauptet, dass sie sich in mich verliebt hat und von mir entführt werden möchte, aber ich glaube, es wäre ihr lieber, von wildfremden Leuten gedemütigt zu werden als von Menschen, die sie kennt. Ihr könnt sicher sein, dass sie eine gutgelaunte und willige Arbeiterin abgeben wird«, sagte er zu den Bordellagenten. »Sie wird ihre Töchter in kürzester Zeit vergessen haben.«
    In Bezug auf Shah Zarina war er wortkarger und gestand, dass er nicht mehr über sie wusste als das, was sie ihm selbst von sich erzählt hatte. Und sie hatte lediglich gesagt, sie habe niemanden, der sie beschütze, und alle Dorfjungen würden sie wie Freiwild behandeln. Es sei zuletzt so weit gekommen, dass sie sich nicht mehr allein auf die Felder wagen konnte, ohne dass der eine oder andere versuchte, sie zu belästigen oder handgreiflich zu werden. Wenn sie sich beklagte, bezichtigte das ganze Dorf sie der Sittenlosigkeit – wenn nicht, wurden die Männer noch dreister. Also war sie eines Tages einfach weggelaufen, hatte sich von einem vorbeifahrenden Lastwagen mitnehmen lassen und war verschwunden.
    »Ich glaube, sie ist bislang noch Jungfrau«, sagte Afzal Khan.
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