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Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
Autoren: Jamil Ahmad
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ich drei Tage bleiben müssen.«
    Sie lächelten einander heimlich zu. Donnerstag war der Frauenverkaufstag.
    »Wo kann ich ein Zimmer für uns bekommen?«, fragte Afzal Khan.
    »Mein Herr und ich, wir haben ein paar Zimmer. Ich werde mit ihm reden. Er hört auf mich.«
    Als der Knabe gegangen war, streiften die Frauen den Schleier von ihrem Gesicht zurück und fingen an, von dem gemeinsamen Teller zu essen. Sherakais Gesicht verzog sich vor Abscheu. »Das ist ein Lustknabe!« Solch unverhohlene Zurschaustellung von Perversion empörte ihr bäuerliches Moralempfinden. Afzal Khan betrachtete nachdenklich die robust aussehende Frau, die ihm gegenübersaß. Ihre Kinnlade war ein wenig zu massig, und der leichte Schatten von dunklem Haar auf ihrer Oberlippe fiel wegen ihrer hellen Haut deutlich ins Auge.
    »Es gibt die verschiedensten Sorten von Menschen auf der Welt«, erwiderte er. »Möge Gott allen Sündern vergeben.« Nachdem sie aufgegessen hatten, stand er auf und warf die Reste auf den Boden. Eine räudige Hündin, die in einer Ecke ihre Welpen gesäugt hatte, schoss hervor und fing an, auf dem Lehmboden nach Futter zu wühlen.
    Afzal Khan hob sein Hemd und zog aus der Weste, die er darunter trug, eine Plastikbrieftasche hervor.
    »Was schulde ich dir?«, fragte er den Gastwirt. »Hast du ein Zimmer gerichtet?«
    »Zwei Betten dürften genügen. Die Frauen sollten imstande sein, zusammen zu schlafen. Wenn sie getrennt schlafen wollen, besorge ich später ein weiteres Bett«, antwortete er.
    »Der Junge wird dir den Weg weisen. Übrigens,
er
ist nicht zu vermieten«, flüsterte er Afzal Khan zu, während er ihm das Wechselgeld gab. Der Knabe führte sie zu ihren Zimmern. Als sie um die erste Ecke bogen, sah Afzal Khan zurück. Der
kabab
-Wirt hockte über seine Pfanne gebeugt, kratzte emsig die angebrannten Fleischkrümel heraus und bereitete sich auf den nächsten Gast vor.
    Der Knabe öffnete eines der Zimmer in einem von Lehmmauern umgebenen Hof, holte zwei Gurtbetten aus einem Lagerraum und warf sie hinein. »Ich hoffe, das Zimmer gefällt euch«, zwitscherte er. »Tut es«, bestätigte Afzal Khan. »Bring uns Bettzeug.«
    »Ich kann euch mein eigenes anbieten«, erwiderte der Junge kokett. Vor sich hin schmunzelnd, entfernte er sich und kehrte kurz darauf mit Baumwolllaken und Kissen zurück. »Das Trinkwasser ist im Zimmer nebenan, und wenn ihr sonst noch etwas braucht, ruft mich einfach.« Er sprach zu Afzal Khan, meinte aber die Frauen. Als er ihnen seine Hilfe anbot, schwang Mitleid in seiner Stimme – zwei weitere Gesichter in seinem Gedächtnis, die sich zu all jenen gesellten, deren Anzahl mit jedem Donnerstag wuchs. Frauen, manche wenig mehr als Kleinkinder, manche schon an der Schwelle zwischen mittlerem und fortgeschrittenem Alter; manche, die über ihr Los lachten, und andere, die nicht aufhörten zu weinen. Manche, die einmal auftauchten und dann für immer verschwanden. Manche, die immer und immer wieder kamen und erst dem einen, dann dem anderen Mann verkauft wurden. Es gab solche, die von ihrem Mann oder ihrem Vater weggelaufen waren, und solche, die vor dem Leben davonliefen. Sein Gedächtnis war ein einziges Meer von Frauengesichtern, und sein kleiner Körper zitterte jedes Mal vor Anspannung, wenn er ein weiteres Gesicht sah, das zum Verkauf bestimmt war. Dennoch kam es ihm seltsam vor, dass die Frauen ihm von jeher Hass und Abscheu entgegengebracht hatten. Er konnte es auch jetzt spüren, bei den zwei Frauen, die vor ihm standen.

    Im Laufe der nächsten zwei Tage füllten sich die Zimmer rings um den Hof rasch. Manchmal kam ein einzelner Mann mit nur einer Frau an, die hinter ihm herschlurfte, und manchmal kamen zwei oder drei, die sich auf den Wegen, die zum Dorf führten, zusammengeschlossen hatten. Die Frauen trugen stets irgendwelche Besitztümer aus ihrem vergangenen Leben in kleinen, erbarmungswürdigen Bündeln. Eine trug glasigen Blickes eine blaue Blumenvase wie einen Kerzenleuchter vor sich her. Eine andere schritt stolz mit dem Gewehr ihres Mannes über der Schulter einher. Es kamen auch Männer, die keine Frauen mit sich führten. Sie kamen, um zu kaufen, und hatten ihrerseits nichts zu verkaufen.
    Noch vor Ende des zweiten Tages war der Gasthof von kleinen Zelten umgeben, die für die auswärtigen Besucher aufgestellt und an sie vermietet wurden. Während die Männer ihre Zeit damit verbrachten, umherzuschlendern und sich die Ware der anderen anzusehen, mit alten Bekannten
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