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Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
Autoren: Jamil Ahmad
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bedauerten ihn wegen seines unglücklichen Schicksals. Sie schnalzten traurig mit der Zunge. Obwohl sie nur einen einzigen Bärendompteur in ihrem ganzen Leben gesehen hatten, sprachen sie von der Niedertracht dieses Berufsstandes im Allgemeinen und waren sich darin einig, dass es dumm von einem Vater sei, seine Tochter mit einem Mann von dieser Sorte zu verheiraten.
    Das Mitgefühl für Shah Zarina und ihre Familie hielt nicht lange vor. Bald kam Gerede auf. »Wir kennen nur ihre Seite der Geschichte. Was, wenn sie nicht weggelaufen ist, sondern ihr Mann sie hinausgeworfen hat?«
    »Was, wenn ihre Gründe, wegzulaufen, nicht die sind, die sie uns erzählt hat?«
    »Wegen ihres Eigensinns wird es schwierig sein, ihre Schwestern zu verheiraten.«
    Shah Zarina litt stumm. Eines Nachts, als sie wach lag, hörte sie, wie ihre Eltern sich laut flüsternd unterhielten. Sie rührte sich nicht und erlauschte einzelne Fetzen ihres Gesprächs. »Sie brütet den ganzen Tag vor sich hin und isst mehr als jede ihrer Schwestern. Sie tut kaum etwas im Haus«, beklagte sich ihre Stiefmutter.
    »Ihr Mann kann jeden Tag hier auftauchen. Er wird verlangen, dass man sie ihm übergibt. Das ist sein gutes Recht. Wenn wir uns weigern, wird er den Brautpreis zurückverlangen«, fügte ihr Vater hinzu.
    »Aber wir haben das Geld doch schon ausgegeben!«, jammerte ihre Stiefmutter.
    »Sie hat uns alle in furchtbare Schwierigkeiten gebracht!«
    Shah Zarina war durch das, was sie hörte, am Boden zerstört. Sie raffte die raue Wolldecke und ihre Schuhe zusammen und ging leise aus dem Haus in die Nacht.
    Als die Sonne am Morgen aufging, wanderte Shah Zarina ziellos eine Straße entlang, die das linke Ufer des Swat säumte. Ein lauter Ruf ließ sie erstarren – nur ein paar Schritte vor ihr saßen ein Mann und eine Frau auf einem Sack und ruhten sich aus. Der Mann stand auf und kam auf sie zu.
    »Mädchen, was tust du zu dieser Tageszeit ganz allein auf der Straße? Ein Bruder oder Ehemann oder Vater sollte neben dir gehen. Ein Mädchen braucht Schutz.«
    Der Anblick einer anderen Frau, wenngleich deren Augen unergründlich waren, schenkte ihr etwas Mut.
    »Ich bin von meiner Familie weggelaufen. Ich habe niemanden, der neben mir hergehen könnte. Ich weiß nicht, was ich tun und wohin ich gehen soll«, sagte sie arglos.
    »Mein Name ist Afzal Khan«, sagte der Mann. »Vielleicht kann ich dir helfen, wie ich dieser entfernten Cousine helfe. Wir sind unterwegs zu einem Ort, wohin reiche und großzügige Menschen kommen, um Hilfen für ihren Haushalt anzustellen – wie Köchinnen und Küchenmädchen. Sie zahlen gut und sind freundlich zu ihren Angestellten.«
    Shah Zarina nickte müde. »Ich brauche eine Anstellung. Ich kann hart arbeiten.« Afzal Khan legte seine Hand auf Shah Zarinas Schulter.
    »Gut, das wäre dann also geklärt. Wir kehren ins nächste Haus ein, wo wir Tee und etwas zu essen bekommen können. Du wirst mir deine Geschichte erzählen, denn ich werde sie demjenigen erzählen müssen, der dir Arbeit gibt.«

Handel abgeschlossen
    A fzal Khan, ein kleiner, gutaussehender Mann, war schon seit fast fünf Stunden mit den zwei Frauen unterwegs. Die letzte Stunde war besonders unangenehm gewesen, unter der prallen Sonne, die grell auf die baumlose Landschaft schien, und ohne den leisesten Lufthauch. Bei jedem Schritt wirbelte ein Staubwölkchen vom Boden auf und schien reglos in der Luft hängen zu bleiben. Und so weit das Auge reichte, deutete die von ihren Füßen aufgewirbelte Staubspur dorthin, wo ihre Wanderung begonnen hatte.
    Afzal Khan wurde allmählich müde. Die Hitze, der Staub und die Anstrengung forderten ihren Tribut, und er hatte ausgiebig geschwitzt, besonders unter der Schädelkappe, welche die Männer des Mohmand-Stammes gewöhnlich trugen. Umso besser konnte er sich vorstellen, wie es seinen Weggefährtinnen ergehen musste, die schmutzig weiße Baumwollburkas trugen, schwere leichentuchartige Gewänder, die den Zweck hatten, den Körper einer Frau zu verbergen und ihr Gesicht zu verschleiern. Die Frauen, die in den Morgenstunden noch miteinander geschwatzt hatten, waren inzwischen verstummt.
    Afzal Khan drehte sich nach ihnen um. »Wir werden bald Mittagsrast machen«, sagte er. »Wir brauchen alle etwas Ruhe. Hinter der nächsten Anhöhe gibt es ein gutes
kabab
-Lokal.« Die Frauen nickten lediglich, zu müde für eine enthusiastischere Reaktion. Mit gedämpften Stimmen baten sie ihn, stehen zu bleiben, damit sie
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