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Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
Autoren: Jamil Ahmad
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lebhaftes und munteres Kind er war! Mit Armeerationen aufgewachsen, sah er älter aus, als er war. Er verbrachte seine Tage damit, sich eigene Spiele auszudenken und sie allein mit sich zu spielen oder, von Fels zu Fels hüpfend, den Soldaten auf ihren Patrouillen zu folgen. Abends war er immer müde und kroch seiner Mutter auf den Schoß und schlief ein Weilchen, bevor sie sich ans Essen machten.
    Eines Abends, als der Mann mit Wasser von der Quelle zurückkehrte, schlief der Junge noch immer auf dem Schoß seiner Mutter.
    Sie machte Anstalten aufzustehen, aber der Mann hielt sie mit einer Handbewegung auf. »Bleib noch ein wenig, ich sehe dich gern an. Du strahlst Frieden aus. – Ich frage mich, wie sein Leben sein wird, wenn er erst erwachsen ist. Was möchtest du, dass aus ihm wird?« Er sah die Frau an.
    Sie dachte eine Weile nach. »Möge er ein Kameltreiber werden, schön und freundlich wie sein Vater«, murmelte die Frau.
    »Und sich in die Tochter des
sardars
verlieben, die Frau seines Herrn«, entgegnete der Mann.
    »Und sie entführen«, fuhr die Frau fort.
    »In ein Leben von Elend und Kummer und Schrecken«, gab der Mann zurück.
    »Sag das nie wieder. Du darfst niemals so reden!«, flüsterte sie.
    Der schlafende Junge schlug plötzlich seine dunklen Augen auf und sagte lachend: »Ich habe euch zugehört, und ich werde euch sagen, was aus mir wird! Ich werde ein Häuptling sein, ich werde Pferde und Kamele besitzen. Ich werde eure Freunde bewirten und euren Feinden die Stirn bieten, wo immer sie auch sind!«
    Sanft schob die Frau den Jungen von ihrem Schoß und begann, die Abendmahlzeit vorzubereiten.

    Eines Wintermorgens, als das Paar vor der Hütte saß, tauchte plötzlich ein Kamelreiter auf und ritt geradewegs zum Fort. Sein Erscheinen war so unerwartet, dass ihnen keine Zeit blieb, sich zu verstecken. Also blieben sie regungslos sitzen, während der Fremde seine Geschäfte erledigte und wieder davonritt, ohne einen Blick in ihre Richtung zu werfen. Doch kaum war er hinter dem Kamm verschwunden, rief das Paar das Kind zu sich, das im Staub des Hofes gespielt hatte, und zog sich in die Hütte zurück, als böte ihr kühler Innenraum mit einem Mal mehr Wärme als die Sonne draußen.
    Kurze Zeit später kam der
subedar
zur Hütte und bat den Mann nach draußen. Er kam gleich zur Sache.
    »Der Reiter, der gerade das Fort verlassen hat, war ein Siahpad«, erklärte der
subedar
. »Er hat sich nach euch erkundigt. Du weißt, was das bedeutet?«
    Der Mann nickte stumm.
    »Wenn du gehen möchtest«, fuhr der
subedar
fort, »hol dir etwas Essen aus der Kantine. Die Männer haben einen Beutel für euch gepackt. So Gott will, werden wir uns eines Tages wiedersehen.«
    Das Paar brach in der frühen Abenddämmerung auf seinem Kamel auf: der Mann in der Mitte mit dem Jungen vor sich und die Frau hinter ihm. Wieder witterte er den altvertrauten Geruch der Angst. Die Frau hatte keine Fragen gestellt. Sie packte und zog sich schnell an, streifte erst sich und dem Jungen warme Sachen über und knüpfte dann ein leichtes Bündel aus den Dingen, die sie für ihre Reise benötigen würden. Den Rest ihrer Habseligkeiten, der Dinge, die sich im Lauf der vergangenen Jahre angesammelt hatten, stapelte sie ordentlich in einer Ecke des Raums.
    Ihr Mann hatte das Kamel zur Türschwelle geführt und es niederknien lassen. Er hatte sein Gewehr gereinigt, und es hing wieder quer über seinen Rücken. Als sie herauskam, um das Kamel zu besteigen, warf sie einen raschen Blick zurück in den Raum, und ihr Blick streifte kurz den festgestampften Lehmboden, die Dattelpalmenmatten, die sie über die Jahre geflochten hatte, und die verlöschende Glut auf der Feuerstelle. Ihr Gesichtsausdruck blieb so ruhig und gelassen, als wäre sie schon seit langem auf diese Reise vorbereitet gewesen.
    Das einsame Kamel folgte ungefähr dreißig Kilometer weit der durchhängenden Telegrafenleitung, bevor der Mann beschloss, ostwärts ins zerklüftete Land abzubiegen.
    Sie versuchten, ihr Wissen und ihren Verstand voll und ganz auszunutzen. Sie variierten ihre Geschwindigkeit, wechselten häufig die Richtung und ebenso die Tageszeit, zu der sie reisten. An keinem Wasserloch hielten sie sich länger als unbedingt nötig auf. Um zu rasten, suchten sie die abgeschiedensten Stellen aus, und selbst da häuften sie Strauchwerk und Dornbüsche auf, um sich selbst und das Kamel zu verbergen.
    Von ihren Verfolgern war nichts zu sehen, und nach fünf Tagen
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