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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer
Autoren: Gabriel Ferry
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Rückkehr der Abendkühle.
    Die beiden Schläfer erwachten. Nach einem kurzen, kräftigen Mahl, zu dem Gayferos die einzelnen Bestandteile aus der Hacienda del Venado mitgebracht hatte, warteten die vier Reisenden ruhig und gesammelt auf die wichtigste Stunde der Prüfung.
    Mehrere Stunden verflossen, ehe der tiefblaue Himmel, der sich über der Lichtung wölbte, dunkler wurde. Nach und nach kehrte die Natur in das Schweigen der Nacht zurück. Tausende von Sternen glänzten am Firmament wie ebenso viele von der Sonne nach Vollendung ihres Laufes ausgestreute Funken, und endlich kam auch der Mond, um sein bleiches Licht auf den Gipfel der Bäume und das Moos der Lichtung zu werfen, gerade wie an jenem Abend, der so viele Erinnerungen in sich schloß, an dem Fabian verwundet zum Feuer des Kanadiers kam.
    »Werden wir Feuer anzünden?« fragte Pepe.
    »Ohne Zweifel. Was auch kommen möge, wir werden die Nacht hier zubringen«, antwortete Bois-Rosé. »Ist das nicht auch deine Meinung, Fabian?«
    »Ich kümmere mich wenig darum«, antwortete der junge Mann; »hier oder dort – sind wir nicht immer beieinander?«
    Fabian hatte, wie gesagt, schon seit langer Zeit begriffen, daß der Kanadier nicht im Schoß der Städte – selbst in seiner Gesellschaft nicht – leben könnte, ohne stets die Freiheit und die Luft der Steppe zu vermissen; er wußte auch, daß ein Leben ohne ihn noch viel weniger möglich wäre, und opferte sich edelmütig für die letzten Jahre des alten Jägers.
    Bois-Rosé hatte die ganze Größe dieses Opfers von seiten Fabians begriffen; war jene Träne, die er am Morgen verbarg, nicht eine Träne der Dankbarkeit? Wir werden sogleich noch deutlicher im Herzen des Kanadiers lesen.
    Die Sterne zeigten, daß es elf Uhr sei.
    »Geh nun, mein Kind«, sagte Bois-Rosé zu Fabian. »Wenn du an den Ort gekommen bist, wo du dich von einer Frau, die dich vielleicht liebte, getrennt hast, dann lege die Hand aufs Herz; wenn du es nicht rascher klopfen fühlst, dann kehre zurück, denn dann hast du die Vergangenheit besiegt.«
    »Ich werde zurückkehren, mein Vater«, antwortete Fabian mit festem, schwermütigem Ton; »die Erinnerungen sind für mich wie der Hauch des Windes, der ohne Aufenthalt und spurlos vorüberfährt.«
    Er machte sich langsamen Schrittes auf den Weg. Ein frischer Luftzug mäßigte die heißen Ausstrahlungen der Erde. Der Mond beleuchtete mit blendendem Licht das Feld, als Fabian, nachdem er den Wald verlassen hatte, das weite Gebiet betrat, das zwischen dem Wald und der Ringmauer der Hacienda lag.
    Bis hierher war er, wenn auch langsam, doch mit festem Schritt gegangen; als er aber mitten in dem silbernen Duft der Nacht die weiße Mauer bemerkte, in deren Mitte die immer noch offene Stelle sichtbar wurde, wurden seine Schritte langsamer, seine Füße zitterten unter ihm. War es seine bevorstehende Niederlage, die er fürchtete – denn eine innere Stimme rief ihm schon im voraus zu, daß er besiegt sei –, oder waren es etwa seine Erinnerungen, die in diesem Augenblick lebhafter und mächtiger als eine Meereswoge emporstiegen?
    Tiefes Schweigen deckte die klare, wenn auch etwas dunstige Nacht. Plötzlich stand Fabian bebend still wie ein verirrter Wanderer, der glaubt, daß ein Gespenst sich vor ihm aufrichtet. Eine schlanke, weiße Gestalt schien über der Öffnung der Ringmauer zu schweben. Sie erschien wie eine jener Feen aus den alten nordischen Sagen, die für die heidnischen Skandinavier über dem Nebel schwebten. Für einen Christen schien es der Engel der ersten und einzigen Liebe zu sein.
    Einen Augenblick lang schien diese anmutige Erscheinung vor Fabian zu versinken; allein es war nur eine Täuschung seiner Augen, die sich wider seinen Willen mit einem Schleier bedeckten. Die Erscheinung blieb immer auf derselben Stelle. Als er sich stark genug fühlte, weiterzugehen, schritt er vor – die Erscheinung verschwand nicht.
    Das Herz des jungen Mannes wollte zerspringen in seiner Brust, denn ein schrecklicher Gedanke flog durch seine Seele: er dachte, daß er nur noch den Schatten Rosaritas vor sich hätte ... und er hätte es tausendmal lieber gesehen, wenn sie ihn verschmähte und unbarmherzig gegen ihn wäre, aber doch noch lebte, als zu sehen, daß sie sich ihm nach ihrem Tod als eine anmutige, wohlwollende Erscheinung zeigte.
    Eine Stimme, deren entzückender Klang sein Ohr wie ein vom Himmel fallender Ton traf, konnte seine Täuschung noch nicht zerstören, denn diese Stimme
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