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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer
Autoren: Gabriel Ferry
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Lebzeiten Marquis von Carsarcel und Herzog von Armada.«
    »Mediana, sagst du, Vater?« rief das junge Mädchen aus. »Wie? Dann wäre er also sein Sohn?«
    »Von wem sprichst du?« fragte Don Agustin erstaunt. »Don Antonio war niemals verheiratet. Was willst du also damit sagen?«
    »Nichts, mein Vater; wenn nicht, daß deine Tochter heute sehr glücklich ist!«
    Mit diesen Worten schlang Rosarita ihre Arme um den Hals ihres Vaters, lehnte ihren Kopf an seine Brust und begann, ihn mit Tränen überströmend, zu schluchzen. Aber ihr Schluchzen hatte nichts Bitteres; die Tränen des jungen Mädchens flossen sanft wie der Tau, den der Jasmin des Morgens aus seinen purpurnen Blütenkelchen herabträufeln läßt.
    Der Hacendero war wenig bewandert in der Kenntnis des menschlichen Herzens und wußte nicht, daß die Tränen der Frauen auch zuweilen vor Freude fließen; er begriff also auch nichts von dem Glück, das seiner Tochter dieses Seufzen entriß.
    Er fragte sie abermals; aber sie begnügte sich, ihm mit lächelndem Mund und noch feuchten Augen zu antworten: »Morgen will ich dir alles sagen, Vater.«
    Der ehrliche Hacendero bedurfte in der Tat sehr einer Erklärung dieses ganzen Geheimnisses, von dem er kein Wort begriff. »Wir haben noch eine andere Pflicht zu erfüllen«, sagte er. »Der letzte Wunsch, den mir Don Antonio bei seiner Trennung von mir aussprach, war der, dich mit dem Senator Tragaduros vermählt zu sehen. Diese Heirat nicht länger aufzuschieben, heißt dem Willen eines Toten gehorchen. Siehst du dabei irgendein Hindernis, Rosarita?«
    Diese erbebte bei den Worten, die sie an ein verhängnisvolles Versprechen erinnerten, dessen Andenken sie aus ihrem Gedächtnis zu verbannen gesucht hatte. Ihre Brust hob sich, und ihre Tränen fingen wieder an zu fließen.
    »Gut«, sagte der Hacendero lächelnd zu ihr; »das ist auch noch Glück, nicht wahr?«
    »Glück?« antwortete Rosarita mit Bitterkeit: »O nein; nein, mein Vater!«
    Don Agustin war mehr als jemals auf falschem Weg! Er hatte sich sein ganzes Leben hindurch mehr darauf verlegt, die Kriegslist der Indianer zu erraten, gegen die er lange sein Besitztum hatte verteidigen müssen, als das Herz der Frauen zu erforschen.
    »O nein, Vater«, rief Rosarita aus; »diese Heirat wäre heute das Todesurteil deines armen Kindes!«
    Bei dieser plötzlichen Erklärung, die er durchaus nicht vorhersah, blieb Don Agustin ganz verwirrt und konnte kaum die Aufregung beherrschen, die sie in ihm hervorrief. »Wie?« rief er lebhaft aus. »Hast du nicht selbst vor einem Monat in die Heirat gewilligt? Hast du nicht zu ihrer Vollziehung den Zeitpunkt bestimmt, wo wir wußten, daß Don Estévan nicht wieder zurückkehren würde? Er ist tot; was willst du also jetzt?«
    »Ja, Vater, es ist wahr, ich hatte diesen Zeitpunkt festgesetzt.«
    »Nun?«
    »Aber ich wußte damals nicht, daß er noch lebte.«
    »Don Antonio von Mediana?«
    »Nein, Don Fabian von Mediana!« erwiderte leise Rosarita.
    »Don Fabian? Wer ist denn dieser Don Fabian, von dem du sprichst?«
    »Derjenige, den wir, du und ich, Tiburcio Arellanos nennen. Als ich in diese Heirat gewilligt habe«, sagte sie, »glaubte ich, daß Don Fabian auf immer für uns verloren wäre; ich wußte nicht, daß er mich noch liebte, und dennoch ... Urteile, ob ich dich liebe, mein Vater, urteile, welch ein schmerzliches Opfer ich meiner Liebe für dich brachte ... Ich wußte wohl ...« Bei diesen Worten näherte sich Rosarita ihrem Vater, die Augen mit dem ganzen Zauber ihres süßen, von Tränen verschleierten Blicks bewaffnet; sie lehnte sich an seine Schulter und verbarg am Kopf des Vaters ihre Wangen, die so rot waren wie die halb aufgebrochene Granate. »Ich wußte jedoch, daß ich ihn immer noch liebte«, flüsterte sie leise.
    »Aber von wem sprichst du denn?«
    »Ich spreche von Tiburcio Arellanos, vom Grafen Fabian von Mediana, die beide nur ein und dieselbe Person sind.«
    »Vom Grafen von Mediana?« wiederholte Don Agustin.
    »Ja, aber«, rief Rosarita leidenschaftlich aus, »ich liebe in ihm nur Tiburcio Arellanos, so edel, so mächtig, so reich heute Fabian von Mediana auch sein mag.«
    Edel, mächtig, reich – das sind die drei Worte, die im Ohr eines ehrgeizigen Vaters immer einen guten Klang haben, wenn sie einem jungen Mann gebühren, den er achtet, den er jedoch für arm hält. Tiburcio Arellanos hätte von Don Agustin nur eine ablehnende Antwort erhalten – freilich durch liebreiche Worte gemildert;
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