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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten
Autoren: Kari F. Braenne
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zeigen, dass er sich nicht einschüchtern lässt.
    «Lange nicht gesehen, Robin», stammelt er. «Christopher Robin und Kaninchen.»
    Er muss beinahe lächeln. Der Junge war so vernarrt in dieses Kaninchen, es musste überallhin mit. Und dann hat er es mit in den Tod genommen. Was für eine Ironie. Es hätte ihn ja beinahe umgebracht. Er hätte es getan, wenn ihn nicht der Mut verlassen hätte. Oder irgendwas anderes. Und was? Mein kleiner Junge. Mein Junge. Die Mutter auf dem Fußboden, der Junge, der zwischen seinen Händen zappelte, mit dem Kuscheltier vor dem Gesicht, auf Nase und Mund gepresst. Hier, hier hast du dein verdammtes Karnickel. Er hatte in das tiefste Schwarz hineingesehen. Hatte gehört, wie er brüllte, und den Jungen losgelassen, hatte die Hand gehoben und die Finger durch sein Haar gleiten lassen, vorsichtig. Das weiche Kinderhaar, ein letztes Mal. Der kleine Kopf, der sich schluchzend über die Mutter beugte, damit sie ihn umarmen, ihn trösten sollte. Aber das konnte sie ja nicht. Konnte nur flüstern, ganz schwach. Was hat sie dem Jungen zugeflüstert? Wieder sieht er rot. Was zur Hölle habt ihr Geheimnisvolles zu tuscheln, hört das denn nie auf? Aber etwas anderes war stärker, die Trauer war stärker, und er tat nichts weiter. Und der Junge lief in den Wald hinein und kam nie mehr zurück.
    Er hatte sich aufs Sofa fallen lassen. Hatte dagesessen und zugesehen, wie das Blut aus ihren großen Wunden schoss, wie es blutete und blutete. Und er konnte nicht fassen, was er getan hatte. Aber
getan
hatte er es, und er war sich dessen bewusst gewesen. Er erinnerte sich an den Anblick seiner Hand um die Axt, als er sie ihr auf den Kopf schlug, erinnerte sich an das Geräusch, das knirschende Krachen. Die Axt lag jetzt auf dem Boden, und sie war immer noch voller Blut. Er blickte auf seine Hände, sie waren blutüberströmt. Aus ihrem Mund rann Blut, floss in den Blutsee auf dem Fußboden, der immer größer wurde. Sie bewegte die blauweißen Lippen. Ihre Augenlider hoben sich, und sie sah ihn an, flüsterte etwas. War das ein Geheimnis, das sie ihm zuflüsterte, auch ihm?
    Er spürte eine unverdiente Zärtlichkeit und beugte sich über sie, konnte aber nicht verstehen, was sie sagte, zuerst. Ihr Blick wurde immer starrer. Intensiver. Sie bat um Wasser. Er konnte sich nicht bewegen, sah nur diesen starren Blick und den flüsternden Mund, Wasser Wasser Wasser. Bis er den Blick nicht mehr aushielt, er war unerträglich. Sie schloss die Augen nicht, schloss verdammt noch mal die riesigen blauen Augen nicht, sondern verdrehte sie immer wieder nach hinten, sodass nur das Weiße zu sehen war. Sie brauchte lange, um zu sterben, brauchte elendig lange, aber lebendig bleiben konnte sie ja nicht. Lebendig und ohne das große Loch im Kopf, ohne die klaffende Wunde in der Schulter. Ohne das Wissen, was er getan hatte.
    Irgendwer würde es herausfinden, und dann würde man ihn festnehmen und einsperren. Für immer im Dunkeln, innerhalb von vier geschlossenen Wänden und ohne Himmel über dem Kopf, dafür mit einem Dach aus Beton. Er musste sie verschwinden lassen. Er wollte sie auch nicht mehr sehen. Sie war jetzt so anders, beinahe eklig, und je länger er sie ansah, desto ekliger kam sie ihm vor. Die abstoßende grünbleiche Hautfarbe. Die blauen Lippen, der Schaum, der austrat, und das gerinnende Blut, das ihre Haare verklebte. Die verdrehten Augen.
    «Du bist widerlich», sagte er laut und stand auf. «Jetzt sehe ich erst, wie abscheulich du bist.» Er ging hinaus und nahm den Deckel vom Brunnen, und dann trug er sie hinaus, ihren warmen Körper, der heißer war als sonst. Zitternd in seinen Armen, der Kopf hing schief zur Seite. Ihm war zum Heulen zumute, aber das würde er nicht tun. Es war gekommen, wie es kommen musste, es war ihre Schuld. Es war deine eigene Schuld. In dir war etwas, das immer etwas anderes wollte, das wegwollte. Du wirst nie weggehen, verstehst du?
    Während er sie trug, schloss sie endlich die Augen. Aber sie atmete noch, und auf ihren Lippen erschien ein Ausdruck, der fast einem Lächeln glich. Beinahe zärtlich. Es verschwand, als er sie fallen ließ und sie ihm ein letztes Mal direkt in die Augen sah, mit diesem blauen Blick. So, hier hast du dein Wasser, sagte er. Er hörte ein Klatschen dort unten in dem elenden Brunnen. Es war ja nur Matsch auf dem Grund. Und dann holte er den Spaten. Grub die Erde rundherum auf, warf ein paar Schaufeln voll hinunter, ohne hinzusehen. Es gab ja
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