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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten
Autoren: Kari F. Braenne
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Reden, und das war’s. Mit uns. Mit ihr und mir. Du und ich. Wir beide gehören zusammen. Nur wir beide, so sollte es sein. Sie sprach sehr leise.
    «Ich kann das nicht», sagte sie.
    «Das?»
    «Es geht nicht mehr.»
    «Was geht nicht?»
    «Das. Das hier.»
    «Was meinst du damit?»
    «Ich kann nicht mehr.»
    «Was du damit meinst!», schrie er sie an.
    «Verstehst du nicht?»
    «Hast du einen anderen?»
    «Nein.»
    Sie log ihm ins Gesicht. Selbstverständlich tat sie das. Er sah, dass sie log.
    «Du lügst.»
    «Tu ich nicht.»
    Rot vor den Augen, ein rasendes Flimmern.
Fotzenmaul. Fotze.
Natürlich hatte sie einen anderen. Er hob die Hand, schlug ihr ins Gesicht.
    «Du lügst!»
    Er schlug sie noch einmal.
    «Es gibt keinen anderen, wenn ich es dir doch sage!»
    Sie lag schon auf dem Fußboden.
    «Wer ist es?»
    Sie hielt sich die Hände vors Gesicht.
    «Sag es!»
    Sie weinte. Zitterte. Murmelte.
    «Es geht nicht mehr, Wilhelm. Ich kann nicht bei dir bleiben.»
    «Was hast du gesagt?»
    «Du bist nicht gesund.»
    «Was zum Teufel redest du da?!»
    «Ich meine – sieh dich doch an!»
    Sie setzte sich auf, fasste Mut. So verdammt viel Mut, dass sie laut wurde.
    «Du bist nicht gesund, verstehst du!»
    «Was bin ich?»
    «Du bist verrückt», schrie sie. «Krank im Kopf!»
    «Ich werde dir zeigen, wie gesund ich bin. Pass nur auf.»
    Und dann nahm er die Axt. Die stand ja da. Wieso musste die da stehen. Und dann schlug er zu.
    Holz steht still auf dem Hauklotz. Wenn man den Kloben ins Visier nimmt, trifft man ihn dort, wo man will, sofern man eine ruhige Hand hat. Er zielte auf ihren Oberkopf, auf die Mitte, und hätte er sie an der richtigen Stelle getroffen, hätte der Hieb den Schädel gespalten. Aber weil sie sich wegduckte, nach rechts, traf er sie vom Ohr abwärts in den Unterkiefer. Ein schräger glatter Schnitt. Es war ein dumpfes Geräusch, vermischt mit einem Krachen. Sie schrie. Schrie so entsetzlich. Dann zielte er auf ihre Halsschlagader, traf aber auch diesmal nicht richtig, da sie nach links wegknickte. Er traf sie in die Schulter. Es blutete trotzdem heftig. Das Blut spritzte und sie schrie. Dieser Schrei. Dann fiel sie einfach um und lag da. Mehr oder weniger bewusstlos. In dem Moment tauchte der Junge auf. Er stand in der Tür mit seinen riesigen Glotzaugen und sah, was sein Vater getan hatte.
    Nicht getan. Getan. Nichts ungetan. Konnte nicht wieder heil gemacht werden. Nicht ungeschehen. Er braucht nicht hineinzugehen, um die Stelle zu sehen. Braucht den Brunnen nicht zu öffnen, um zu sehen, was dort liegt. Er wird es beseitigen. Alles wegmachen. Die Streichhölzer liegen in seiner Tasche. Die Waffe ist an ihrem Platz. Beretta bereit. Allzeit bereit. Er holt die Schachtel Marlboro heraus. Denkt, dass er noch eine rauchen wird, bevor er alles wegmacht, draußen und drinnen. Bevor alles in Rauch aufgeht und es ganz still wird.

[zur Inhaltsübersicht]
    35
    Robert hastet humpelnd durch den Wald. Hinkt durch Heidekraut, Unterholz, vorbei an Blaubeerhecken und verwachsenen Bäumen. Über kleine Felsen und moosbewachsene Steine. Stolpert über Wurzeln und Baumstümpfe. Klitschnass geschwitzt, fix und fertig. Er beugt sich vor, macht den Turnschuh auf, um dem schmerzenden Gelenk ein bisschen Erleichterung zu verschaffen, und sieht, dass es schon angeschwollen ist. Es tut zum Schreien weh. Aber er darf nicht schreien, nicht daran denken, nur weiterrennen, weiter. Lukas allein in der Hütte. Lukas, der aufwacht und Angst bekommt. Lukas, der ihn nicht findet und in den Wald läuft, um ihn zu suchen. Dann ist alles zu spät.
    «Es ist zu spät», murmelt Robert und schluckt die Tränen hinunter. Er quält sich eine steile Böschung hinauf, auf eine Hügelkuppe zu. Vielleicht hat er von dort oben eine bessere Übersicht. Vielleicht kann er die Hütte sehen.
    Als er fast oben ist, bleibt er stehen. Dreht sich um, schaut hinunter. Der Blick ist eigentlich gut, aber die Sicht ist schlecht. Denn es ist inzwischen zwar heller geworden, aber es ist diesig. Morgengrauen. Und dann sind da noch seine Augen. Die zunehmende Kurzsichtigkeit. Sie ist ihm noch nie so deutlich aufgefallen. Die Bäume da unten sind teils golden, teils immergrün – Kiefern und Fichten –, aber er kann sie nicht unterscheiden, sie sind eher eine Art Masse, und die Hütte ist ohnehin schon ein Teil der Umgebung, die umstehenden Bäume sind hoch. Er verflucht seine Eitelkeit. Dass er seine Brille nicht aufgesetzt hat! Als ob ihn hier
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