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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen
Autoren: Max Mustermann
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Stuhl hin und her und zerbeißt Pfefferminzbonbons, während Millstätt die wenigen Fakten herunterbetet, die ihm bekannt sind. Judith kennt Manni nicht gut, sie mustert sein Profil verstohlen von der Seite. Wie konnte es so weit kommen, dass mir so ein grünes Kerlchen gleichberechtigt an die Seite gestellt wird, fragt sie sich. Manni ist erst seit einem Jahr im KK II, arbeitet normalerweise in einem anderen Team als sie. Judith weiß, dass er die Wochenenden in Rheindorf verbringt, dem Kaff, in dem er aufgewachsen ist, in dem er eine unübersehbare Anzahl von Kumpels hat, was wiederum die Folge des vielschichtigen Vereinslebens ist, dem er sich mit Enthusiasmus hingibt. Schützenverein, Fußballverein, Junggesellenverein. Wenn er davon erzählt, bekommt er rote Backen. Vermutlich bringt er seiner Mutter auch noch seine Wäsche und lässt sich von ihr bekochen.
    Sie ist froh, dass Manni sich dazu berufen fühlt, im Präsidium zunächst die Vermisstenmeldungen zu checken sowie Spurensicherung und Rechtsmedizin zu verständigen.
    »Fahr ruhig schon vor«, sagt er zu Judith. Es klingt milde, als sei er ihr Vorgesetzter und sie eine Praktikantin, die man möglichst schnell loswerden will. Judith zwingt sich, ruhig zu bleiben. Die Aussicht, den Tatort als Erste und allein zu inspizieren, ist allzu reizvoll.
    Wenig später lenkt sie einen nagelneuen Ford Focus auf die Autobahn. Das absolute Filetstück des Fuhrparks der Mordkommission, das sie allein deshalb erwischt hat, weil Sonntag ist. Der Styroporbecher Kaffee, der zwischen ihren Beinen klemmt, bessert ihre Laune noch mehr. Kurz vor Lindlar sieht sie neben der Autobahn die ersten Fachwerkhäuschen mit den für das Bergische Land typischen grünen Fensterläden. Aber es gibt keine Landidylle mehr, an den Ortsrändern wuchern die unvermeidlichen Tempel der Neuzeit: Gewerbehallen, Autohäuser und Einkaufszentren. Ein paar Kühe fressen unmittelbar neben der A4 ihr Gras, vermutlich sind sie im Laufe der Zeit taub geworden oder sediert von den Abgasen. Ein Silo und in weiße Folie verschweißte Heuballen erinnern Judith wieder an ihren Traum. Sie schaltet das Radio an. Bei Bielstein verlässt sie die Autobahn und fährt über zunehmend schlechter ausgebaute Landstraßen, bis sie nach vielen Kurven und sehr viel gelbem Wald das Dorf Unterbach erreicht. Von hier sollen es noch etwa drei Kilometer bis zum Fundort der Leiche sein. Sie findet den Schotterweg, der einen Kilometer hinter dem Dorf rechts abzweigt, und das Holzschild, das ein Kollege aus dem Bergischen beschrieben hat. »Sonnenhof« steht in verschnörkelter Schrift darauf. »ZUM ASCHRAM« hat jemand mit violetter Farbe auf den Baumstamm gesprüht, an dem das Schild befestigt ist.
    Der Schotterweg führt in Serpentinen ins Tal, hohe Nadelbäume verschlucken das Licht. Judith wirft einen Blick auf das Display ihres Handys – kein Netz mehr. Das Tal erscheint unwirklich, als stamme es aus einem dieser Bauernhof-Sets für Kinder. Es gibt Schafkoppeln und Wiesen mit alten Obstbäumen, zwei zottelige Esel und einen Bach. Hof, Scheune und Nebengebäude stehen unorthodox durcheinander, als hätte der kindliche Bauherr diese letzten Bauklötzchen willkürlich in die Mitte der Wiese gestreut. Dies ist nicht die Landschaft aus ihrem Traum, kein weißes Pferd ist zu sehen und doch erscheint die Erinnerung daran auf einmal wie ein böses Omen. »Sonnenhof – Welcome«, das Schild ist an einen Pfosten neben einem matschigen Parkplatz genagelt. Ein Mann lehnt am Zaun und sieht ihr entgegen. Er trägt weiße Baumwollhosen und ein orangefarbenes T-Shirt, das überhaupt nicht zu seinem roten Pferdeschwanz passt. Seine nackten Füße stecken in Badelatschen aus Plastik. Judith lässt das Fenster herunter.
    »Hallo, ich will zum Erlengrund. Irgendwo muss ein Weg dorthin abzweigen. Können Sie mir sagen, wo?«
    Er lächelt, was sein Gesicht wie eine Kreuzung von Boris Becker und Kermit dem Frosch aussehen lässt.
    »Presse?«
    »Kennen Sie den Weg?«
    »Klar.« Er beugt sich zu ihr herunter. »Aber da ist alles abgesperrt. Die Bullen werden dich nicht ranlassen – und wenn du sie noch so nett anlächelst.«
    Sie sieht ihm direkt in die hellblauen Augen. Wartet. Er gibt nach.
    »Den Weg entlang, über die Brücke und vor den Teichen rechts. Ist ziemlich matschig dort. Sag nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
    »Danke. Wissen Sie, was passiert ist?«
    Er mustert sie. »Jemand ist tot. Keiner vom Sonnenhof.«
    »Sind Sie
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