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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen
Autoren: Max Mustermann
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selbst wiederholt, wie für das Mädchen, das apathisch in ihren Armen hängt.
    Ein Moment wie eine Ewigkeit, für immer in Judiths Gedächtnis gebrannt. Ein Moment, der alles in sich birgt: die Angst aus ihren Albträumen. Die Verzweiflung am Sinn des Lebens. Trauer, die niemals aufhört, sondern allenfalls erträglich wird. Und trotzdem Hoffnung. Überlebenswille.
    Und dann ist der Moment vorbei, die ersten Kollegen stürmen auf die Lichtung, die Welt dreht sich wieder, Routine folgt. Flutlicht, Sanitäter, Decken, heißer Tee. Die beiden Ks. Karl-Heinz Müller ohne sein übliches Gepfeife. Und schließlich Millstätt, der stumm von Manni zu Judith blickt, die Seite an Seite vor ihm stehen – ein Team, endlich ein Team, das sich wortlos versteht, das zusammengewachsen ist, jetzt, da sie beinahe verloren hätten.
    »Gut. Nun gut«, sagt Millstätt. »Wir reden später.« Und das haben sie gemacht.
     
    Das Telefon klingelt und Judith setzt sich mit dem Hörer auf die Fensterbank.
    »Laura wird es schaffen, sie spricht wieder, gerade war ich bei ihr im Krankenhaus!« Hannah Nungessers Stimme klingt hell.
    »Das freut mich, das freut mich wirklich sehr«, antwortet Judith und hat das Gefühl, als würden die Rosen auf dem Wohnzimmertisch plötzlich zu duften beginnen. Vorgestern hat Hannah Nungesser ihr diesen gigantischen Strauß roter Rosen geschickt. Danke, dass Sie meine Tochter gerettet haben, steht auf der Karte, die mit den Rosen zusammen geliefert wurde. Ich habe Ihre Tochter nicht gerettet, das hat Diana Westermann getan, hat Judith gesagt. Ihr habe ich auch Blumen geschickt, antwortete Hannah Nungesser. Aber Ihr Verhör … Judith hatte das so stehen lassen. Und offenbar war die Frau ihr wirklich dankbar, denn warum sonst sollte sie jetzt ihre Freude mit Judith teilen?
    »Diana war auch da mit ihrem neuen Freund Tom.« Hannah Nungesser lacht. »Es war fast so eine Art Familiengipfel. Sie wollen im Forsthaus eine WG gründen, mit Laura. Tom ist Schlagzeuger und Keyboarder, er braucht Platz zum Üben, ohne Nachbarn, sagt er. Diana möchte nicht mehr allein leben und für Laura eine große Schwester sein. Und Laura will wieder zur Schule gehen, damit sie später Forstwirtschaft studieren kann.«
    »Gut, das klingt wirklich gut«, erwidert Judith. Sie sagt nicht, was für eine Illusion, denn wer weiß, vielleicht wird es ja funktionieren. Ein Leben voller Musik und Hundegebell und Liebe, mitten im Wald. Ein Leben mit Narben. Dianas Prozess wird kommen, und wie auch immer er ausgeht, sie muss damit leben, dass sie getötet hat. Und Laura wird vielleicht nie mehr jemandem vertrauen können. Aber möglicherweise schaffen die drei es ja trotzdem.
    Der Tag verliert schon wieder sein Licht, obwohl es gar nicht richtig hell geworden ist. Judith zieht ihren Mantel an und nimmt Hannah Nungessers Rosen aus der Vase. Aus dem grauen Himmel fallen winzige Eissplitter, als sie zwanzig Minuten später den Melatenfriedhof betritt. Zwei alte Frauen in schwarzen Pelzmänteln humpeln an ihr vorbei. Judith hat Schwierigkeiten, sich zu orientieren, vor zwei Jahren, als Patrick hier beerdigt wurde, war es auch November, aber damals strahlte die Sonne völlig unpassend aus einem stahlblauen Himmel.
    Endlich findet sie den richtigen Weg, neben der Trauerweide und dem steinernen Engel. Es gibt so viele traurige Jugendstilengel auf den alten Grabstätten des Friedhofs, aber dieser eine hier scheint zu lächeln.
    Sie legt die roten Rosen auf Patricks Grab und dreht sich eine Zigarette. Dann noch eine. Immer noch fällt Eis vom Himmel und die Dunkelheit kommt jetzt schnell. Draußen vor den Friedhofsmauern brandet der Verkehr, aber hier ist es still. Wie im Wald, denkt Judith. Stille, die nichts verlangt außer der Fähigkeit, sie auszuhalten. Millstätt hat ihr Zeit gegeben. Zeit, um die sie ihn gebeten hat, vielleicht ein Sabbatjahr. Sie weiß nicht, ob sie je wieder Polizistin sein wird, ob sie das will.
    Sie nimmt ihr Handy aus der Jackentasche.
    »Martin«, sagt sie, als er sich meldet.
    Er antwortet nicht, aber in seinem Schweigen ist etwas, eine Frage an sie.
    »Ja«, sagt Judith. »Ja.«

DANKE
    Der Krimiautor und ehemalige Kriminalhauptkommissar Reiner M. Sowa hat die Ermittlungen in diesem Roman begutachtet, die Kölner Kripo und der Rechtsmediziner Dr. Frank Glenewinkel haben viele Fragen beantwortet. Dr. Marion Karmann brachte mir ihre Arbeit in den Wäldern Afrikas nahe, die Försterin Johanna Murgalla führte mich durchs
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