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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
Autoren: Günter W. Hohenester
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weißgewaschener Kiesel. Sie mussten sie vom Bach heraufgeschleppt haben. In den Händen hielten sie verkohlte Zweige. Vor meinen Füßen stand eine Holzschale mit einer dunkelroten, dampfenden Flüssigkeit. Daneben lag ein Häufchen bereits geknackter Nüsse. Ein mit klarem Wasser gefülltes Trinkhorn stand bereit.
    »Bitte setz dich«, sagte Fanut. »Trinke das Rentierblut. Es ist ganz frisch. Es wird dir Kraft geben für den ganzen Tag.. Lass dir die Nüsse schmecken und lösche deinen Durst mit dem reinen Wasser der Quelle.«
    Ich dankte ihm.
    Dann fuhr er fort: »Wir haben alle von deiner Geschichte gehört. Wir möchten dich bitten uns zu zeigen, wie du die Steine zum Sprechen bringst.«
    Die anderen, die ihm aufmerksam gelauscht hatten, nickten eifrig mit den Köpfen.
    »Natürlich nur, wenn es dir deine Zeit erlaubt«, fügte Fanut seiner Rede höflich hinzu.
    Ich nickte. Ojun erkundigte sich, wie sie denn das Rentier erlegt hätten. Darauf erklärte Fanut, sie hätten es beim Steine sammeln mit gebrochenem Bein hinter einem Busch entdeckt und er hätte ihm zu seiner Erlösung die Halsschlagader geöffnet. Dann hätten sie die Tiere der Berge angefleht seiner Seele Zuflucht zu gewähren, wie es die gute Sitte gebot. Ojun vernahm es mit Zufriedenheit. Vergnügt teilte er das Mahl mit mir. Danach begannen wir mit der Unterweisung. Ojun, der sich mit meinen Steinen in der Zeit des Wartens auf den Vollmond vertraut gemacht hatte, übernahm die Rolle des Mannes der alten Rasse.
    Ich nahm einen der Steine in die Hand, zeichnete das Symbol für Mann und zeigte es herum. Die Männer erkannten, was gemeint war. Sie sprachen wie im Chor das Wort: »Mann.« Ojun zeichnete das Zeichen für Mann der alten Rasse, und da sie die Geschichte kannten, erkannten sie auch dieses Zeichen. Dann versuchten sie, mit ungelenken Strichen die Zeichen auf den mitgebrachten Kieseln nachzubilden. Sie zeigten sie sich gegenseitig und riefen begeistert: »Mann.« Und: »Mann der alten Rasse.«
    Danach kam das Zeichen für Weib. Ich zeigte es den Männern. Zuerst blieben sie stumm. Erst als Ojun die Rundungen eines Weibes mit den Händen andeutete, schrie Fanut: »Weib! Richtig! Das bedeutet Weib!« Seine Augen leuchteten vor Eifer. »Ich habe es gewusst«, sagte er. »Ich habe es gewusst!«
    Wir verbrachten den halben Tag mit dem Malen von Zeichen und der Suche nach ihrer Bedeutung. Nachdem die ersten Zeichen enträtselt waren, hatten die Männer den Zusammenhang der einfachen Striche begriffen und konnten ohne Schwierigkeiten die nächsten Zeichen in Worten ausdrücken. Fanut erfand sogar neue Zeichen für einige Begriffe dazu, die sehr gut verständlich waren, sodass ich erkannte, dass seine Verrücktheit eine andere war, als die des Hakalim mit den Blumen in den Ohren. Allerdings wurde ich, als ich seinen besonderen Eifer bei den Begriffen Flügel, Schnabel, Nest und Baum beobachtete, den leisen Verdacht nicht los, dass er die Steine mit in den Wald nehmen würde, um zu versuchen sich mit ihrer Hilfe mit den Vögeln zu unterhalten.
    Fanut und seine Begleiter verabschiedeten sich. Alle Steine waren bemalt. Wir fühlten uns erschöpft, wie ausgelaugt. Fanut schleppte alle seine Steine mit sich fort. Die Anderen suchten sich nur die gelungensten aus. Dann liefen sie den Hang hinunter.
    Der Gebrechliche, der den brennenden Ast gebracht hatte, saß noch bei uns. Er zog sich mühsam an seinem Stock hoch und sprach zu mir: »Hier in der Nähe ist noch eine kleine Höhle frei. Du kannst sie dir einrichten, wenn du möchtest. Ich zeige sie dir.«
    Der Weg war kurz. Die kleine Höhle war nicht sehr tief. Zu klein für mehr als zwei Personen. Aber mit einem ordentlichen Feuer an der Öffnung sollte sie auch im Winter warm zu halten sein. Von ihrem Eingang aus hatte ich einen guten Blick auf den großen Feuerplatz. Ich war froh ein Quartier so Nahe beim Ort gefunden zu haben, denn ewig wollte ich Ojun nicht zur Last fallen und von hier aus hatte ich es nicht weit zur heißen Quelle. Dort oder in ihrer Umgebung war die Wahrscheinlichkeit Yrsig zu begegnen sehr viel größer als oben auf dem Schamanenhügel.
    Ich bedankte mich bei dem Gebrechlichen, ließ ein paar entbehrliche Ausrüstungsgegenstände zurück, färbte meine Hand mit Asche und Holzkohle ein und drückte sie als Markierung neben dem Eingang auf eine glatte Stelle am Felsen, sodass jedermann erkennen konnte, diese Höhle wäre von jetzt an bewohnt.
    Danach wanderte ich mit Ojun zurück
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