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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
Autoren: Günter W. Hohenester
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entfernt. Der Figurenschnitzer mit seinem Muschelhorn gesellte sich zu ihnen. Während alle emsig mit der Vorbereitung des Festes beschäftigt waren, senkte sich langsam die Dämmerung über das Tal und wurde zur Dunkelheit. Immer noch eilten Leute herbei. Aus einem Feuer vor einer der Höhlen löste sich ein roter Punkt. Er näherte sich uns und wuchs zu einem brennenden Ast heran. Ein vom Alter gebeugter weißhaariger Mann, der sich auf einen Stock stützte, trug ihn in der freien Hand. Er trat vor mich hin und sprach: »Du Asfa, der du die Steine sprechen lässt, bist heute einer der Unseren geworden. Dir gebührt es, das Feuer zu entzünden. Tanze den Tanz des Feuers zur Ehre des Großen alten Mammuts. Es gebe dieser Nacht Wärme und Licht.«
    Ich erhob mich. Der Alte überreichte mir den brennenden Ast. Die Trommler begannen, einen gleichmäßigen Rhythmus zu schlagen. Die Umstehenden unterbrachen ihre Tätigkeiten und ich tat, was die gute Sitte gebot. Mit den Füßen dem Takt der Trommeln folgend, den Ast schwingend, umkreiste ich, mich dabei um mich selbst drehend, dreimal die Feuerstelle. Dann stieß ich ihn in die dafür vorgesehene Stelle mit dem trockenen Reisig. Funken sprühten. Flammen schossen empor. Das Feuer brannte. Das Fest war eröffnet.
    Ich hatte kaum meinen Platz neben Ojun wieder eingenommen, da klang von der Steinplatte mit den Speisen eine wohlklingende Weiberstimme herüber: »Es kann losgehen!« Ein gut gebautes Weib mit vollem Busen und runden Hüften stand dahinter. Ihr gesundes rotbackiges Gesicht wurde von auffallend hellblondem Haar eingerahmt. Sie klatschte noch einige Male auffordernd in die Hände. Daraufhin erhoben sich die meisten der Festbesucher und eilten an den gedeckten Steintisch.
    »Dann lass uns auch schnell sehen, was Drullsaua und die anderen Weiber aufgetragen haben«, meinte Ojun. »Bevor die anderen uns alles weggegessen haben.«
    Wir drängten uns zwischen die Esser, die sich ganze Hände voller Nüsse in die Mäuler warfen. Oder mit den Zähnen Fleischfetzen von den Knochen des frisch Gebratenen rissen. Einige drehten sich mit den Fingern runde Kugeln aus dem Getreidebrei und schoben sie in den Mund. Die Weiber, die schon beim Kochen satt geworden waren, hielten sich mehr an die Früchte.
    Ojun griff nach einer Wurzelknolle und bediente sich an einem Berg mit Haselnüssen. Ich häufte mir ein Gemisch aus grünen Blättern der Pflanze, die beim Berühren brennt, und den kleinen weiß-gelben Blüten auf das Schulterblatt eines Rentieres und legte auch eine der großen schmackhaften Wurzelknollen dazu. Dann flüchteten wir aus dem Gedränge, um in Ruhe auf unserem Platz am Feuer zu speisen.
    »Du tust gut daran nicht so viel Fleisch zu essen«, belehrte mich Ojun. »Zuviel Fleisch verwirrt den Geist und lässt dich deine Kräfte falsch benutzen.«
    Wir widmeten uns der Nahrungsaufnahme. Dann rülpste Ojun zufrieden, stöhnte behaglich und sagte: »Jetzt wird es Zeit, dass der Trinkfelsen eröffnet wird. Ein guter Tropfen kann uns nicht schaden.«
    Ich fragte, was es denn zu trinken gäbe.
    »Keine Angst«, beruhigte er mich anzüglich. »Gegorenen Wurzelsaft aus der Wurzel der blauen Blume, die auf den Bergwiesen wächst, gibt es heute nicht.« Dabei schlug er mir lachend auf den Rücken.
    »Heute trinken wir gegorenes Honigwasser und den prickelnden Saft der zerstoßenen Äpfel.«
    Ich war beruhigt. Diese Getränke und ihre Wirkung kannte ich. Oft, wenn ich nach einer langen Nacht am Trinkfelsen des Ortes, in dem der Klan von Hellgacka lebte, in unsere Wohnhöhle gekommen war, um das Lager mit ihr zu teilen und Heilung im zweiten Bereich zu erfahren, hatte sie mich nicht an sich herangelassen und geschimpft: »Du hast schon wieder getrunken. Du stinkst. Lass mich in Ruhe!«
    Wenn sie aber gnädig gestimmt war, war es mir oft in solchen Nächten nicht gelungen, den Akt der Heilung zu genießen. Ich sah dem Geschehen also gelassen entgegen. Solch peinliche Heldentaten wie in der letzten Nacht würde ich heute bestimmt nicht vollbringen.
    Wir schlenderten also zum Trinkfelsen, hinter dem sich inzwischen die vollbusige Drullsaua zu schaffen machte. In den Löchern des Felsens steckten griffbereit kleine gefüllte Trinkhörner. Außer uns drängten auch andere durstige Festteilnehmer herbei. Einen von ihnen kannte ich. Es war der lange, dürre Fanut mit dem stechenden Blick, der seine Studien im Wald unterbrochen hatte.
    Er ließ sich von Drullsaua ein Trinkhorn reichen
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