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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Autoren: Thomas Kastura
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Dann hielt er den Zettel in die Flamme. Er hatte lange daran gefeilt, die Formulierungen genau bedacht. Es kam auf jedes Wort an, der Text durfte keines zu viel enthalten. Schwätzer, das wusste er, wurden nicht ernst genommen. Aber es sollte auch nicht zu abgehackt wirken, unbeholfen oder mehrdeutig, sonst schriebe man es irgendeinem Verrückten zu, der nur ein wenig Aufmerksamkeit erregen wollte. Man musste die Mühe erkennen, die dahinter steckte, eine unerbittliche Präzision. Dass an seinen zur Reife gelangten Absichten nicht zu rütteln war.
    Es würde keine weiteren Ankündigungen geben. Er hatte nicht vor, ein Spiel zu beginnen. Er wollte nur ausschließen, dass sie den Zufall verantwortlich machten oder alles auf eine Art von Verirrung schoben. Er ging nicht in die Irre, im Gegenteil, alles lag so klar vor ihm wie noch nie.
    Er hielt den Zettel so, dass er von allen Seiten gleichmäßig abbrannte. Als die Flammen fast seine Fingerspitzen berührten, machte er zwei Schritte zum Ausguss, ließ die brüchigen Überreste hineinfallen und spülte sie sorgfältig hinunter.
    Genauso hatte er es mit der Mitteilung gemacht, die er nach diesem mehrfach überarbeiteten Entwurf angefertigt hatte, das Original aus erster Hand, wenn man so wollte. Er hatte es mehrmals fotokopiert, ein Prozess, der keine Hinweise auf den Urheber hinterließ. Einen Computer benutzte er für sein Vorhaben nicht, das war ihm zu unsicher. Bestimmte Dinge sollte man ohne die Hilfe moderner Speichermedien erledigen, fand er. Es machte sie einzigartig. Dann hatte er die Fotokopien in neutrale Umschläge gesteckt, sie ausreichend frankiert und in einen Briefkasten in der Nähe des Doms geworfen, fern von seiner Wohnung und seiner Arbeitsstelle.
    Johan fragte sich, mit wem er diesen Abend verbringen konnte, wem sollte er einen Besuch abstatten? Im Geiste ging er die Namensliste durch. Mattes und Thierry vergnügten sich bestimmt in einer Kneipe, ohne Rücksicht darauf, dass sie am nächsten Tag wieder in ihrer Webagentur antreten mussten. Valerie würde früh zu Bett gehen, wie es am Sonntag ihre Gewohnheit war. Vielleicht ließ sie das Licht für Sheila an, die manchmal länger ausblieb – obwohl das Mädchen noch zu jung war, um sich auf der Straße herumzutreiben. Bei der alten Güsgen liefe das Abendprogramm. Sie schaltete oft um. Die Bilder hatten kaum Gelegenheit, jenes gleichmäßige, bläuliche Flimmern zu verströmen, das Johan nicht selten beruhigte und ein Stück weit Anteil nehmen ließ am Geschehen der Welt. Bei seinem eigenen Fernsehgerät fehlte das Empfangsteil. Er hatte es ausgebaut und konnte keine Programme mehr empfangen.
    Es war sein Lieblingshaus. Viersener Straße Nummer sieben. Mehrere Leute von der Liste wohnten darin. Er konnte die Hinterfront bequem durch sein Schlafzimmerfenster beobachten. Oft warf er noch einen letzten Blick darauf, bevor er das Laken glatt strich und in seine Träume hinabstieg. Er ging um Punkt zehn zu Bett. Dann hatte er vor der Arbeit am nächsten Morgen genug Zeit, seine drei Runden in der Flora zu laufen.
    Jedem sein eigener Rhythmus. Immer, wenn Johan sich schlafen legte, holte Luzius Goodens sein Fahrrad aus einem Schuppen im Hinterhof und verließ Nummer sieben durch die Toreinfahrt. Die einen betteten sich zur Ruhe, die anderen erwachten, so war der Gang der Welt.
    Goodens stand nicht auf der Liste. Johan hatte ihn noch nie in der U-Bahn gesehen. Streng genommen existierte er deshalb gar nicht. Das war sein Glück.
    Johan beschloss, das Haus nicht mehr zu verlassen. In seiner Straße gab es zwar noch ein paar viel versprechende Wohnungen, aber er war sehr mit sich zufrieden heute Abend und hatte keine Lust, in die Kälte hinauszugehen. Er lehnte sich zurück und sah der Kerzenflamme zu. Jeder seiner Atemzüge brachte sie zum Flackern.

    Mit der Bahn war es nur eine Viertelstunde bis zum Neumarkt. Als sie eingestiegen waren, fragte Photini ihn nach dem Seminar. Raupach zögerte. Die junge Frau hatte eine erstaunliche Einschätzungsgabe. Er konnte darauf verzichten, von ihr veralbert zu werden. Damit übertrieb sie es meistens: Sie sagte den Menschen auf den Kopf zu, was in ihnen vorging. Aus diesem Grund war sie Raupach zugeteilt worden. Keiner der Kollegen kam mit ihr zurecht.
    »Du hast versagt, stimmt’s?« Sie sah ihn an und lachte. »Jetzt redest du dir ein, dass es keine Bedeutung hat. Aber es wurmt dich trotzdem. Nun sag schon, wie schlecht warst du?«
    Raupach schwieg und starrte
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