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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Autoren: Thomas Kastura
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zu Objekten, die ihnen den Eindruck vermittelten, etwas Außergewöhnliches geleistet zu haben. Das wusste Raupach. Deswegen fand er meist, was er suchte, auch wenn es länger dauerte. Viele Leute schleppten einen Stein mit sich herum oder hatten ihn irgendwo versteckt. Es kam darauf an, diesen Stein zu finden. Der Rest war Routine.
    Er schüttelte den Kopf und vertrieb die unerwünschten Gedanken. Ihm fiel ein, worauf er bei dieser Übung achten sollte. Den Dingen ein bestimmtes Wort zuweisen, sie mit einem Begriff markieren.
    Molenkopf, prägte er sich ein und legte den Stein auf die Terrakottafliesen zurück. Er ging einen Schritt weiter und nahm den nächsten Gegenstand in Augenschein. Eine Packung Papiertaschentücher, 4-lagig und durchschnupfsicher. So stand es in mehreren Sprachen auf der Verpackung.
    »Die Zeit ist abgelaufen. Bitte geh wieder in den Übungsraum.«
    Raupach erschrak. Er warf einen Blick auf die lange Reihe von Gegenständen, die noch vor ihm lag. Ein Lampion mit einem Mickymaus-Aufdruck. Eine karierte Decke. Eine Teekanne. Die anderen Teilnehmer des Seminars murmelten diese Worte vor sich hin, während sie die Terrasse durch eine Flügeltür verließen und ins Innere des Gebäudes gingen.
    »Das war’s«, sagte der Dozent und zog ihn sanft am Ärmel.
    Raupach trat beiseite und spähte über die Schulter des Mannes. Ein Geigenkasten. Ein Schaumgummiwürfel. Ein …
    Aus dem Lächeln des Dozenten sprach jahrelange Erfahrung mit Menschen, die ungern eine Niederlage akzeptierten. Und ein gewisser Überdruss, es ihnen schonend beizubringen. »Fünf Minuten sind vorüber. Du willst doch nicht schummeln?«
    Widerstrebend drehte sich Raupach um. Der Dozent dirigierte ihn zurück in die Jugendstilvilla und schloss die Flügeltür. Sie durchquerten ein lichtdurchflutetes Zimmer mit kreisförmig angeordneten Sitzkissen. Dort hatte am Morgen eine Vorstellungsrunde stattgefunden. Raupach waren Zweifel gekommen, ob er diesen Sonntag – und die folgenden Sonntage bis Weihnachten – sinnvoll verbringen würde.
    Er fühlte sich unwohl in dem Seminar. Schon das unverblümte Duzen ließ ihn jedes Mal zusammenzucken. Es fiel ihm schwer, sich an diese aufgesetzte Vertrautheit zu gewöhnen. Er zog mehr Abstand vor. Aber irgendetwas musste er tun, um aus seiner jahrelangen Betäubung zu erwachen.
    Raupach kam als Letzter in den Übungsraum. Alle anderen saßen mit gezückten Kugelschreibern an den Tischen. Er nahm neben einer attraktiven Kunsterzieherin Platz. Das halbe Seminar bestand aus mehr oder weniger zwangsverpflichteten Lehrern. Die rötlichen Locken der Frau standen kunstvoll in alle Richtungen ab. Sie musste Stunden vor dem Spiegel verbracht haben, um ihre Frisur so hinzubekommen. Er starrte auf ein leeres Blatt Papier.
    »Beginnt … jetzt!«
    Raupach nahm den Stift und notierte alle Begriffe, die er sich gemerkt hatte. Dinge im Gedächtnis zu behalten, war nicht sein Problem. Auch ihre Reihenfolge konnte er korrekt wiedergeben. Den großen Kieselstein hatte er zum Beispiel mit der Nummer fünf belegt. Selbst die Gegenstände, die er sich noch schnell im Weggehen eingeprägt hatte, konnte er sich mühelos in Erinnerung rufen. Aber nach dem Schaumgummiwürfel musste er passen. Er hatte elf. Von dreißig.
    Während der Dozent die nächste Übung beschrieb, ein Konzentrationstraining mit Zahlenreihen, wertete sein Assistent die Bögen aus. Das Seminar lief wie ein Wettbewerb ab, das sollte die Motivation erhöhen. Es war der erstbeste Kurs, den der Fortbildungsbeauftragte Raupach vorgeschlagen hatte. Warum nicht mit Gedächtnistraining anfangen? Den Geist schärfen, das war eine solide Basis. Danach konnte er den nächsten Schritt tun.
    Mit seinen elf Richtigen landete er auf dem letzten Platz.
    »Du bist zu langsam«, tadelte ihn der Dozent und schüttelte den Kopf. »Hast du nicht auf die Uhr gesehen?«
    Das hatte Raupach schon oft gehört. Er betrachtete die Rangliste auf der Tafel. Die Kunsterzieherin hatte 25 Treffer. Sie hieß Katharina.
    »Diese verdammte Teekanne«, ärgerte sie sich. »So eine hab ich zu Hause. Hat mich total aus dem Konzept gebracht.«
    »Das war schon sehr gut.« Der Dozent legte Katharina eine Hand auf die Schulter und beugte sich zu ihr hinab. »Vertraute Gegenstände können wir uns oft am schwierigsten merken. Wir schenken ihnen zu wenig Beachtung. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich leichter auf ungewöhnliche Dinge. Zum Beispiel auf den Lampion. Den haben
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