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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Autoren: Thomas Kastura
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Aufnahmen?«
    Raupach murmelte eine Begrüßung und folgte ihr.
    Photini schaute auf die Rückseite eines Fotos. »1999. Seit wann nimmst du das Zeug mit nach Hause?«
    »Eigentlich schon immer«, antwortete er. »Das vertreibt mir die Zeit.«
    Es verunsicherte ihn, dass sie so direkt nach den Fotografien fragte. Seine Berufsauffassung musste ihr doch bekannt sein. Es gefiel ihm nicht, darüber Rechenschaft abzulegen.
    »Würde mir nicht im Traum einfallen.« Photini schüttelte den Kopf. Er war unverbesserlich. Dieses Pflichtbewusstsein über den Dienst hinaus – dort, wo sie beide arbeiteten, wurde das nicht honoriert. »Los, zieh dir was über. Wir gehen Eis laufen.«
    Raupach überlegte, ob er widersprechen sollte. Immerhin war er ihr Vorgesetzter, etwas respektvoller konnte ihr Umgangston schon sein. Es gab niemanden, der so mit ihm sprach, nicht einmal Woytas, der vor drei Jahren seinen Platz eingenommen hatte. Und Präsident Himmerich, der um seine Verdienste wusste und ihm stets den Rücken gestärkt hatte, erst recht nicht. Alle waren ihm gegenüber zuvorkommend und höflich. Nach seiner Versetzung waren sie sogar noch eine Spur höflicher. An die Stelle von Respekt war Mitgefühl getreten.
    Photini behandelte ihn dagegen wie einen störrischen Großvater. Dabei war er 41, gerade mal fünfzehn Jahre älter als sie. Er wusste nicht, warum er ihr dieses Benehmen durchgehen ließ. Vielleicht weil sie aus Griechenland stammte und er annahm, dass ihr die deutsche Zurückhaltung nicht lag. Sie war zwar in Bonn aufgewachsen, aber Höflichkeitsfloskeln wendet man meist nur in der eigenen Muttersprache an. Er vermutete, dass sein Griechisch auch etwas schroff klingen würde, wenn ihm all die kleinen beiläufigen Worte fehlten, die ein Gespräch glätteten.
    Er holte ein Paar zerknautschte Halbschuhe aus dem Schränkchen, schlüpfte hinein und nahm seine Jacke vom Haken. Vor wenigen Minuten hatte er die Sachen erst weggeräumt. Es war nicht einfach, darin einen Sinn zu erkennen.

    Eine Bewegung aus dem Handgelenk. Das Kratzen über die Reibfläche. Zischen, als der Sauerstoff freigesetzt wurde. Mit einem Rascheln verbanden sich die Chemikalien der Zündkopfmasse und lösten sich auf. Ohne Rückstände, wie es die Sicherheitsbestimmungen vorsahen.
    Johan Land liebte dieses Rascheln. Wenn er ein Streichholz entzündete, war er voller Erwartungen. Das Geräusch rief Erinnerungen an lang zurückliegende Winter wach. Dagegen konnte er das scharfe Klicken eines Einwegfeuerzeugs nicht leiden. Streichhölzer waren intimer. Er mochte ihre Schlichtheit. In Feuerzeuge verirrten sich Stoffflusen. Oder das Gas ging zur Neige. Streichhölzer zündeten zuverlässig, selbst bei Nässe oder starkem Wind. Das wurde oft unterschätzt.
    Er hielt die Flamme an den unbenutzten Docht und ließ ihr durchsichtiges Inneres an der wächsernen Umhüllung lecken. Geduldig sah er zu, wie das Wachs schmolz und der Docht Feuer fing. Die Kerzenflamme schlug hoch. Dann duckte sie sich, als wollte sie gleich wieder verlöschen, wie ein Neugeborenes, das ins Leben gleitet und sich nach einer ersten Streckung wieder zusammenkrümmt.
    Er hielt den Atem an. Für einen Moment schien die Flamme vor seinen Augen zu verwischen. Sie bewegte sich mit rasender Geschwindigkeit von links nach rechts, als stände die Kerze in einem fahrenden Zug. Instinktiv folgte er der Flamme, indem er sie fixierte und dabei den Kopf blitzschnell drehte. Er verlor sie nicht aus dem Blick, konnte verhindern, dass sie unscharf wurde. Sie flackerte ein wenig. Aber sie verlosch nicht.
    Johan schloss die Augen. Er zwang sich dazu. Sonst würde die Flamme und alles, was sie umgab, nicht zum Stillstand kommen. Er wartete eine Sekunde, zwei Sekunden, drei, zählte in Gedanken mit. Dann öffnete er die Augen wieder.
    Die Kerze befand sich an ihrem festen Platz. Die Flamme richtete sich auf. Ruhig und gleichmäßig brannte sie weiter.
    Erster Advent. Er legte die Streichholzschachtel auf den dafür vorgesehenen Platz in der Mitte des Kranzes und wedelte den Geruch von verbranntem Holz beiseite. Der erste Advent war immer aufregend. Und schmerzlich. Er wird der letzte dieser Art sein, klang es in seinem Ohr. Martas Stimme war heute ruhig und fest. Sie meldete sich selten zu Wort, wie immer, wenn sie beide übereinstimmten.
    Er betrachtete seine Unterarme. Die Narben wiesen die vertraute Schraffur auf. Er lehnte sich zurück und las zum wiederholten Mal seine Reinschrift. Sie war perfekt.
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