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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster
Autoren: Anne Perry
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Aussehen zumindest ein wenig verändern.

    Als hätte dieser Pitts Gedanken gelesen, zog er sich die Jacke aus, hielt sie ihm hin und nahm die Pitts entgegen. Als Pitt sie anzog, merkte er, dass Gowers Jacke ein wenig spannte, während diesem die seine ein wenig lose um die Schultern hing.
    Mit schiefem Lächeln räumte Gower Pitts Taschen aus und gab ihm sein Notizbuch, Taschentuch, Bleistift, Kleingeld, die Brieftasche sowie allerlei Krimskrams.
    Pitt hielt es mit Gowers Habseligkeiten ebenso.
    Spöttisch salutierend, sagte Gower: » Wir sehen uns in Saint Malo«, machte auf dem Absatz kehrt und ging, ohne einen Blick zurück, mit leicht schwankenden Schritten davon. Nach einer Weile blieb er stehen, drehte sich noch einmal um und sagte lächelnd: »Ich an Ihrer Stelle würde mich von der Reling fernhalten, Sir.«
    Pitt hob grüßend die Hand und sah weiter aufmerksam zur Laufplanke hin.
     
    So kurz nach der Tagundnachtgleiche wurde es noch ziemlich früh dunkel. Kaum hatte die Fähre bei Sonnenuntergang abgelegt, fühlte sich der Wind auf dem Wasser empfindlich kalt an. Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wo Wrexham sein mochte, oder ihn gar überwachen zu wollen. Falls er sich auf der Fähre mit jemandem traf, würden sie es erst merken, wenn sie ihn ganz aus der Nähe sahen, und selbst dann konnte es sich ohne weiteres um ein beiläufiges Gespräch zwischen Zufallsbekannten handeln. Es dürfte am besten sein, sich eine Sitzgelegenheit zu suchen und ein wenig zu schlafen. Immerhin hatten sie einen langen und anstrengenden Tag hinter sich.
    Während Pitt langsam eindämmerte, kam ihm voll Bedauern zu Bewusstsein, dass er nicht einmal die Möglichkeit gehabt hatte, seine Frau Charlotte zu informieren, so dass diese nicht wusste, dass er an jenem und möglicherweise auch
am nächsten Abend nicht nach Hause kommen würde. Er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie sich die Sache weiter entwickeln würde. Nach dem Kauf der Fahrkarten für die Bahn und die Fähre blieb ihm nicht mehr viel Geld – es mochte gerade für eine oder zwei Übernachtungen reichen. Auch hatte er nichts bei sich, was man für eine längere Abwesenheit brauchte, weder Zahnbürste, Rasierzeug noch Wäsche zum Wechseln. Sein Plan für den Tag war gewesen, West zu treffen, von ihm zu erfahren, was dieser zu sagen hatte, und diese Angaben unverzüglich Narraway im Hauptquartier des Sicherheitsdienstes in Lisson Grove zu berichten.
    Nun würde er ihn von Saint Malo aus in einem Telegramm um Geld bitten und ihm zumindest so viel mitteilen müssen, dass er die Situation in etwa einschätzen konnte. Zweifellos hatte man die Leiche des armen West inzwischen gefunden, aber vermutlich würde die Polizei keinen Grund sehen, dem Sicherheitsdienst davon Mitteilung zu machen. Andererseits war Pitt überzeugt, dass Narraway im Laufe der Zeit von selbst hinter die Zusammenhänge kommen würde, denn er schien überall Zuträger zu haben. Ob er auch daran denken würde, Charlotte zu informieren?
    Jetzt bedauerte Pitt, dass er nicht dafür gesorgt hatte, sie rechtzeitig in Kenntnis zu setzen. Zumindest hätte er von Southampton aus anrufen können. Dazu hätte er allerdings die Fähre noch einmal verlassen müssen, was mit der Gefahr verbunden gewesen wäre, Wrexhams Fährte zu verlieren.
    Er wagte nicht, sich offen auf dem Schiff zu zeigen. Er fragte sich, wer auf Gower warten und sich Sorgen um ihn machen würde. Ihm kam der überraschende Gedanke, dass er nicht einmal wusste, ob der Mann verheiratet war oder noch bei seinen Eltern lebte.
    Bevor er endgültig einschlief, versuchte er sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass er im Dienst auch schon früher
ganze Nächte nicht nach Hause gekommen war, so dass sich Charlotte zwar Sorgen machen, aber auf keinen Fall in Panik geraten würde.
    Mit einem Mal fuhr er hoch und setzte sich aufrecht hin, weil ihm das Bild vor Augen getreten war, wie West mit zur Seite hängendem Kopf dagelegen hatte, während das Blut auf die Steine des Ziegeleihofs gelaufen war, so dass sein Geruch die Luft erfüllte.
    »Entschuldigung«, sagte der Steward mechanisch, während er dem Mann neben Pitt ein Glas Bier gab. »Darf ich Ihnen etwas bringen? Ein belegtes Brot?«
    Pitt, der seit zwölf Stunden nichts gegessen hatte, überfiel mit einem Mal das Bewusstsein entsetzlichen Hungers. Kein Wunder, dass er nicht schlafen konnte.
    »Ja, gern, danke«, sagte er. »Bringen Sie mir doch bitte zwei und dazu ein
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