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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster
Autoren: Anne Perry
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den Bahnsteig entlang, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, und folgten ihm nach der Sperre bis auf die Straße.
    Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Er bestieg einen Pferdeomnibus zum Hafen, und Pitt und Gower mussten rennen, um noch im letzten Augenblick auf die Plattform springen zu können. Dabei wäre Pitt fast mit Wrexham zusammengestoßen, der dort stehen geblieben war. Rasch wandte er den Kopf beiseite, als habe er soeben einen Bekannten entdeckt. Betont vermied er es, zu Gower hinüberzusehen. Sie mussten vorsichtiger sein, auch wenn keiner von ihnen für sich genommen besonders auffällig war. Gower war ziemlich hochgewachsen, schlank und trug sein hellblondes Haar recht lang. Das und sein vergleichsweise knochiges Gesicht würde sich einem aufmerksamen Beobachter einprägen. Pitt war größer als er, etwas schlaksig, und seine dunklen Haare sahen
immer ungekämmt aus. Aus einem der Schneidezähne war ein Stück herausgebrochen, was man aber nur sah, wenn er lächelte. Was den Menschen in Erinnerung blieb, war der durchdringende Blick seiner sehr hellen grauen Augen.
    Jemand musste sich in Gedanken schon sehr mit anderen Dingen beschäftigen, um nicht zu merken, dass die beiden Männer erst in London und jetzt auch in Southampton zusammen gewesen waren. Da dieser Gedanke Pitt beunruhigte, ging er in das Innere des Omnibusses, um möglichst weit von Gower entfernt zu sein, und tat so, als betrachte er interessiert das Leben und Treiben auf den Straßen, durch die sie kamen.
    Wie er mehr oder weniger vermutet hatte, fuhr Wrexham bis zum Hafen. Ohne ein Wort zu Gower zu sagen, folgte ihm Pitt mit großem Abstand. Er hatte Gower nur einen kurzen Blick zugeworfen und verließ sich darauf, dass sich dieser, so gut es ging, außer Sichtweite hielt.
    Wrexham löste eine Fahrkarte für die Überfahrt nach Saint Malo an der französischen Küste. Pitt tat es ihm gleich, wobei er inständig hoffte, dass auch Gower genug Geld für die Kanalfähre hatte. Schlimmer aber als die Aussicht, Wrexham in Frankreich auf sich allein gestellt verfolgen zu müssen, war die Sorge, ihn ganz und gar aus den Augen zu verlieren.
    Er ging an Bord der kleinen Dampffähre Laura . Dort blieb er an der Reling stehen, ohne die Laufplanke aus den Augen zu lassen. Einerseits wollte er sehen, ob auch Gower an Bord kam, vor allem aber sicher sein, dass Wrexham nicht wieder an Land ging. Falls ihm die Anwesenheit seiner Verfolger aufgefallen war, würde es ihm ein Leichtes sein, kurz vor dem Ablegen von Bord zu gehen und mit dem nächsten Zug nach London zurückzukehren, während Pitt und Gower gleichsam auf der Fähre gefangen waren.
    An die Reling gelehnt, genoss Pitt den kräftigen salzigen Wind, der ihm über das Gesicht strich. Als er Schritte hinter
sich hörte, fuhr er herum und ärgerte sich sofort über seine unbedachte Reaktion.
    Gower stand einen Meter von ihm entfernt und fragte lächelnd: »Haben Sie etwa befürchtet, ich wollte Sie über Bord stoßen?«
    Pitt schluckte seinen aufkeimenden Zorn herunter. »So nah am Ufer eigentlich nicht«, gab er zurück. »Wenn wir in der Mitte des Kanals sind, werde ich mich mehr vorsehen.«
    Gower lachte. »Klingt vernünftig, Sir. Wenn wir ihm weiter folgen, bekommen wir sicher eine klare Vorstellung davon, mit wem er drüben auf dem Kontinent Kontakt hat. Vielleicht erfahren wir sogar, was die Leute im Schilde führen. «
    Auch wenn Pitt das bezweifelte, blieb ihnen einstweilen nichts anderes übrig, als abzuwarten. »Möglich. Aber man darf uns auf keinen Fall zusammen sehen. Wir haben großes Glück gehabt, dass er uns bisher nicht erkannt hat. Wahrscheinlich wären wir ihm längst aufgefallen, wenn er nicht so unglaublich hochnäsig wäre.«
    Mit einem Schlag war Gower vollkommen ernst und sagte mit finsterem Gesicht: »Vermutlich ist für ihn, was auch immer er beabsichtigt, so wichtig, dass er an nichts anderes denken kann. Er hat wohl angenommen, dass er uns in Ropemaker’s Field abgeschüttelt hat. Immerhin waren wir im Zug in einem anderen Waggon als er.«
    »Schon. Aber er muss uns gesehen haben, als wir ihn verfolgt haben. Immerhin ist er gerannt«, gab Pitt zu bedenken. »Wenn doch zumindest einer von uns beiden eine Jacke zum Wechseln da hätte. Aber wenn wir sie auszögen, würden wir jetzt im April auf dem Wasser noch mehr auffallen.« Er sah nachdenklich zu Gower hin. Ihre Kleidergröße war annähernd gleich. Wenn sie ihre Jacken tauschten, würde das ihr
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