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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster
Autoren: Anne Perry
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nur den Namen. Aber jetzt war keine Zeit für nähere Erklärungen. Eine Lücke im Verkehr nutzend, eilten er und Gower über die Straße Wrexham nach. Zum Glück war der wegen seiner Größe nicht so ohne weiteres zu übersehen, zumal er trotz des warmen Wetters einen langen hellen Schal trug, der bei jeder Bewegung hinter ihm her flatterte. Flüchtig kam Pitt der Gedanke, dass er ihm womöglich als Waffe diente – es dürfte nicht schwerfallen, jemanden damit zu erwürgen.
    Jetzt befanden sie sich auf einem belebten Gehweg, und Wrexham verlangsamte den Schritt. Er schien beinahe gemütlich dahinzuschlendern. War er womöglich so überheblich, dass er glaubte, sie so schnell abgeschüttelt zu haben? Ihm musste bewusst sein, dass sie ihn gesehen hatten, denn bei Gowers Ausruf war er herumgefahren und dann eilig davongelaufen. Vielleicht verließ er sich nun darauf, dass ihn sein betont unauffälliges Dahinschlendern gleichsam unsichtbar machte.
    Sie schritten jetzt kräftig in Richtung Stepney und Limehouse nach Osten aus. Wenn sie die Hauptstraße erst einmal hinter sich hatten, würde die Zahl der Passanten deutlich abnehmen.
    »Seien Sie vorsichtig, wenn er in eine Gasse einbiegt«, mahnte Pitt. Sie gingen jetzt nebeneinander her wie zwei Geschäftsleute, die sich über etwas unterhielten. »Der Kerl dürfte ein Messer haben. Sonderbar, dass er sich so selbstsicher gibt. Er muss doch wissen, dass wir ihm folgen.«

    Gower warf seinem Vorgesetzten einen raschen Blick zu und fragte mit weit geöffneten Augen: »Meinen Sie, der will versuchen, uns um die Ecke zu bringen?«
    »Immerhin ist ihm klar, dass wir praktisch gesehen haben, wie er West die Gurgel durchgeschnitten hat«, gab Pitt zurück, darauf bedacht, seine Schritte an Gowers anzupassen. »Mit Sicherheit weiß er, dass der Galgen auf ihn wartet, wenn wir ihn fassen.«
    »Ich vermute, dass er einfach abtauchen und sich verstecken will, sobald er den Eindruck hat, dass wir in unserer Aufmerksamkeit nachlassen«, gab Gower zurück. »Wir sollten uns besser dicht hinter ihm halten. Der verschwindet bestimmt sofort, sobald wir ihn auch nur einen Moment aus den Augen verlieren.«
    Pitt nickte zustimmend, und sie verringerten den Abstand zu Wrexham, der nach wie vor scheinbar völlig unbekümmert vor ihnen dahinschlenderte, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen.
    War es möglich, dass jemand einem anderen die Kehle durchschneiden und wenige Augenblicke darauf mit harmloser Miene inmitten einer Menschenmenge spazieren gehen konnte, ohne sich etwas anmerken zu lassen? Diese Vorstellung ließ Pitt einen Schauer über den Rücken laufen. Was mochte im Kopf eines solchen Menschen vorgehen? An der selbstverständlichen Art, mit der Wrexham dahinflanierte, wies nichts auf Furcht hin und erst recht nichts darauf, dass sich der Mann des brutalen Mordes bewusst war, von dem das Blut noch an seinen Kleidern kleben musste.
    Wrexham bewegte sich geschmeidig in der Menschenmenge voran, und zweimal verloren sie ihn aus den Augen.
    »Da hinten!«, stieß Gower beim ersten Mal hervor und wies mit der rechten Hand in die Richtung. »Ich gehe nach links.« Dabei sah er nicht vor sich und hätte beinahe einen Fensterputzer
umgerannt, der mit seiner Leiter und einem Eimer voll Wasser unterwegs war.
    Pitt nahm die andere Richtung. Im Dämmerlicht der Gasse, das ihn überraschte, musste er einen Augenblick lang die Augen schließen. Dann sah er an ihrem Ende eine Bewegung und stürmte hin, doch es war nur ein Bettler, der aus einem Hauseingang geschlurft kam. Leise fluchend rannte Pitt zur Straße zurück und kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, dass Gower verzweifelt Ausschau nach ihm hielt.
    »Da drüben!«, rief er aus und rannte los. Pitt folgte ihm.
    Beim zweiten Mal war es Wrexham gelungen, die Straße unmittelbar vor einem Brauereifuhrwerk zu überqueren, und als Pitt und Gower schließlich eine Möglichkeit fanden, ihm zu folgen, war nichts mehr von ihm zu sehen. Es kostete sie über zehn Minuten, sich ihm wieder so weit zu nähern, dass sie normale Schritte machen konnten und es nicht aussah, als verfolgten sie ihn. In der Gegend waren jetzt deutlich weniger Menschen unterwegs, und zwei Männer im Laufschritt hätten sofort Aufsehen erregt, und dann wäre es Wrexham mühelos möglich gewesen, ihnen davonzulaufen, denn der Abstand zwischen ihnen belief sich sicherlich auf fünfzig Schritt.
    Mittlerweile hatten sie die Commercial Road East in Stepney erreicht. Wenn
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