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Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition)
Autoren: Carlos María Domínguez
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ertragen, wie er hier hereinspazierte, als schuldete ich ihm eine Erklärung. Er wartete auf seine Stunde, darauf, dass mein Leben bergab ging, nur weil er auf allzu viel verzichtet hatte und ich auf gar nichts. Er konnte nicht akzeptieren, dass ich mit der Kunst Geschäfte machte.«
    »Sie meinen, er hat Sie beneidet?«
    »Nein. Zu Neid war er nicht fähig, aber er hatte seine Theorien, alle sehr tiefschürfend und natürlich exquisiter als meine Klassifizierung eines Barradas nach Maßen und Zertifikaten. Er fand eine Art Wahrheit oder Rechtfertigung in dem, was andere gemalt hatten, und wir stritten gewöhnlich über dessen Wert, ohne uns zu einigen, versteht sich. Immer hat er mir vorgeworfen, ich verstünde nicht, womit ich handelte, voll dieser einfältigen Naivität der Mystiker, der Liebhaber und Taugenichtse.«
    »Und doch haben Sie ihm geholfen, aus Corrales fortzukommen.«
    Das Dienstmädchen trug einen Karamellpudding auf, der köstlich aussah, den Wanda aber nicht anrührte, ich ebenso wenig.
    »Sehen Sie, ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen kann«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte ein wenig. Sie wartete, bis das Dienstmädchen die Tür zur Küche geschlossen hatte, bevor sie fortfuhr.
    »Es war nicht mit anzusehen, dass sie ihn in dem elenden Nest wie einen Hühnerdieb behandelten, es gab ja nicht mal einen anständigen Platz zum Sitzen dort. Da waren zwei Kerle, ein zerlumpter Alter und ein dunkler Typ, die machten einem Angst. Ich konnte mir nicht erklären, wie Walli dort gelandet war. Doch am schmerzlichsten war seine Reaktion, denn manche Dinge wiederholt man einfach nicht ohne … wie soll ich sagen? Ohne einen Mangel an Schamgefühl?«
    »Was meinen Sie?«
    Wanda holte Luft und packte den Knauf des Stocks, der am Tisch lehnte. Einen Augenblick spielte sie damit, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
    »Als Kinder kamen wir auf alle möglichen Einfälle, wobei ich den Vorteil hatte, die Ältere zu sein. Das war zu Hause in Colón, er war so um die sieben, ich neun Jahre alt, und hinter dem Haus stand ein Schuppen, in dem wir viele Stunden verbrachten. Es war ein Holzverschlag voller Gerümpel, mit Rasenmäher, Angelruten, Werkzeugen, einer Waschmaschine, Truhen und Schränkchen, in denen meine Mutter alte Stenohefte aufbewahrte, Tagebuchausschnitte, Fotos von Klassenkameraden, fleckige Lexikonbände. Eines Nachmittags, zur Zeit der Siesta,stritten wir über ein Aquarellbild, an dem wir malten, ich warf ihn hinaus und sperrte die Tür von innen zu. Walli wollte unbedingt herein, und da ich mich weigerte, machte er mit Laub und Feigenästchen ein Feuer und schob das verkohlte Holz unter der Tür hindurch, damit mich der Rauch zum Husten brachte. Bestimmt hatte er das aus dem Kino, und wie man sich denken kann, ging der Schuppen in Flammen auf. Fast wäre ich erstickt. Mein Vater, der an dem Tag zu Hause war, zerschlug ein Fenster und konnte mich schließlich herausziehen, doch inmitten von Hektik und Wassereimern, das Tor ein Schlund aus Rauch und Flammen, lief Walli wieder hinein, und alle schrien wir auf. Zwei Sekunden vergingen, dann kam er mit einem Bündel Briefe heraus, von deren Existenz ich nichts gewusst hatte. Ein grünes Band hielt sie zusammen, und er legte sie erschrocken in die Hände meiner Mutter. Er bat bloß weinend um Vergebung, während mein Vater ihn verständnislos ansah und meine Mutter bleich wurde.
    Walli wusste von den Briefen, hatte wohl darin gelesen und begriffen, dass sie wichtig waren und gerettet werden mussten. Sie waren an sie gerichtet, stammten jedoch nicht von Vater oder irgendeinem Verwandten. Sie kamen von einem Englischlehrer in der Schule, in der sie einen Töpferkurs besuchte, ein Mann, mit dem wir uns einmal auf der Straße unterhalten hatten. Im Viertel hieß es, er sei Schriftsteller oder halte sich für einen, bewiesen war nur, dass erausreichend Talent für den Ehebruch besaß, während es bei meiner Mutter nicht einmal dazu gereicht hatte, die Briefe zu verstecken. Walli gab sie ihr, als überreichte er einen Schatz. Er hatte sein Leben für sie riskiert und hielt es für gerecht, dass man ihm das Zündeln verzieh.
    Sie behauptete, sie habe ihn abgewiesen, seine Briefe jedoch aufbewahrt, weil sie ihr schmeichelten und gut geschrieben waren. Ob es stimmte oder nicht, seit Vaters Fortgang betonte sie das immer wieder. Ich blieb erst bei ihnen, zog aber ein paar Jahre später zu ihm ins Zentrum, Waldemar jedoch hat unserer Mutter sein Leben lang
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