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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel
Autoren: Tom Harper
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grünen Monturen, die für den Kampf seltsam unpraktisch anmuteten. Hätten sie die Straße nach Westen genommen, hätten sie die Palastruine in weitem Abstand umgangen. So jedoch würden sie direkt hineinmarschieren.
    Hinter sich hörte er, wie etwas hart und metallisch über Stein scharrte. In heller Panik fuhr er herum – dann erst fielen ihm verspätet die Männer im Tal ein. Hatten sie ihn gesehen? Nein. Sie waren im Schatten der Südmauer verschwunden und vorübergehend außer Sichtweite. Wieder wandte er sich um, diesmal vorsichtiger. Im großen Innenhof, in dem die Minoer einst auf dem Rücken von Stieren getanzt hatten, lag wie eine riesengroße Blutlache ein dunkelroter Fallschirm ausgebreitet. Das Gewebe flatterte und fächelte im Wind, während hinter ihm ein Gewirr schwarzer Seile in einen Stahlbehälter, etwa so groß wie ein Sarg, mündete. Pemberton sah deutlich den Riss, den der Aufprall in den Gipsfliesen verursacht hatte, und empfand spontan Zorn über diesen achtlosen Vandalismus.
    Der erste der deutschen Soldaten, ein Feldwebel, hievte sich über die Brüstung und lief durch den Hof auf den Behälter zu. Die anderen folgten dichtauf und umringten ihn, während er kniend den Deckel öffnete. Einige der Männer streiften die weiten Overalls ab, die sie für den Absprung getragen hatten, und brachten ihre grauen Kampfuniformen und Patronengurte zum Vorschein, während andere die Waffen in Empfang nahmen, die der Feldwebel verteilte.
    Doch abseits der Soldaten bewegte sich noch etwas. Aus dem Augenwinkel sah Pemberton eine Gestalt, die sich vorsichtig über das Dach des Schreins bewegte, der sich ein Stück links von ihm befand. Mit seinem weißen Kittelhemd und dem schwarzen Tuch, das er um den Kopf geschlungen trug, war der Mann sofort als kretischer Bauer zu erkennen. In der Hand hielt er ein Gewehr, wobei er sorgsam darauf achtete, dass es nicht über den Stein streifte. Es schien uralt zu sein, älter noch als der Mann selbst. Vermutlich war es seit der Vertreibung der Türken von der Insel, ein halbes Jahrhundert zuvor, nicht mehr in Gebrauch gewesen, doch was er damit vorhatte, war unschwer zu erraten.
    Pemberton rückte etwas hinter der Säule hervor, die ihm Deckung bot, und wedelte mit der Hand, um den Griechen auf sich aufmerksam zu machen, ohne dass die Deutschen etwas davon mitbekamen. Diese ahnten offensichtlich nichts von der ihnen drohenden Gefahr: Drei gönnten sich eine Zigarette, während die anderen ihre Ausrüstung in Rucksäcken verstauten. Einer machte offensichtlich einen Witz, worauf nervöses Gelächter durch den Hof hallte.
    «Psst», zischte Pemberton durch zusammengebissene Zähne, ungeachtet der Gefahr, entdeckt zu werden. Er musste den Griechen um jeden Preis aufhalten. Was dachte sich der Mann nur? Die Deutschen hatten den Behälter fast ganz ausgeladen und waren abmarschbereit. In wenigen Sekunden würden sie abziehen – und Pemberton wäre gerettet.
    Der Grieche hatte ihn offenbar gehört. Er fuhr jäh herum, hob das Gewehr; dann lächelte er breit, als er den englischen Archäologen, eine im Tal wohlbekannte Erscheinung, erkannte. Schneeweiß strahlte das lückenhafte Gebiss aus seinem dunkelbraun gegerbten Gesicht. Er führte das Gewehr an die Schulter, blinzelte durch das rostige Visier und feuerte.
    Blut spritzte aus dem Hals des deutschen Feldwebels, während der Schuss im Hof widerhallte. Auf dem Dach des Schreins versuchte der Grieche fieberhaft, nachzuladen, ruckelte an dem schweren Bolzen seines Gewehrs herum. Doch die Deutschen hatten ihn schon entdeckt. Mündungsfeuer blitzte aus ihren Maschinenpistolen auf, während ihn ein wahrer Kugelhagel durchlöcherte. Die Kugeln trafen ihn mit solcher Wucht, dass er rückwärtsrollte und dabei eine Blutspur auf dem Flachdach hinterließ.
    Die Waffen verstummten. In weiter Ferne konnte Pemberton die Schlacht um Heraklion unvermindert toben hören, doch nach dem Höllenlärm der MPs vom Typ Schmeisser schienen diese Geräusche leise und unwirklich. Einer der Soldaten rannte los und eine flache Treppe hinauf auf das Dach des Schreins, wo der Grieche lag. Nachdem er dem Toten einen Tritt versetzt hatte, feuerte er ihm noch eine letzte, ganz und gar entbehrliche Kugel in den Kopf. Pemberton schauderte und rückte weiter hinter die Säule, die ihm Schutz bot. Evans’ rekonstruierte Räume waren kaum mehr als Attrappen, etwa so flach wie die Westernkulissen in einem Hollywoodstudio. Angesichts der Männer unten im Hof
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