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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel
Autoren: Tom Harper
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Professor. Ein Mr.   Muir wünscht Sie zu sehen, in der Pförtnerloge.»
    Versunken in seinem Ohrensessel, mit einer Decke um die Beine und dick eingewickelt in einen Schal, der seinen halben Kopf verdeckte, war Reed für den Pförtner in der Tür kaum zu erkennen. Der Student im Sessel gegenüber jedoch konnte ihn gut sehen – und bemerkte den seltsamen Ausdruck, der dem Professor übers Gesicht huschte; als hätte er in einen sauren Apfel gebissen.
    «Sagen Sie ihm, ich komme herunter, wenn ich hier fertig bin.»
    «Er war furchtbar beharrlich, Sir.»
    «Das bin ich auch, Mr.   Gordon.» Reed nahm seine Brille ab und fing an, sie an seinem Schal zu putzen – für alle, die ihn kannten, ein unmissverständliches Zeichen, dass das Gespräch beendet war. Mit einem weiteren Kopfnicken huschte der Pförtner davon.
    Reed stierte in die aschweiße Kohle im Kamin, so lange, dass der Student sich schon fragte, ob er ihn völlig vergessen hatte. Dann gab Reed sich einen Ruck und wandte seinen Blick mit gequältem Lächeln wieder dem Studenten zu. «Wo waren wir stehengeblieben?»

    Eine Stunde später, nachdem der Student ein wenig älter, aber, wie Reed befürchtete, nur wenig klüger verabschiedet worden war, kehrte der Pförtner zurück. Er hatte kaum die Tür geöffnet, als der Besucher sich auch schon an ihm vorbeidrängte. Der Mann war schlank, drahtig und straff, mit Bewegungen, die unterschwellig aggressiv wirkten. Er hatte rotes, raspelkurz geschorenes Haar. Ohne seinen Mantel abzulegen, marschierte er quer durch das kleine Zimmer und ließ sich auf das abgenutzte Sofa Reed gegenüber fallen. Die betagten Polster gaben so weit nach, dass er in merkwürdiger krummer, zusammengefalteter Haltung dasaß. Nach vorne gebeugt, die Beine weit auseinandergestellt, erinnerte der Mann auf beunruhigende Weise an einen sprungbereiten Leoparden. Er rieb sich die Hände.
    «Tut mir leid, dass ich Sie habe warten lassen», sagte Reed milde.
    «Das sollte es auch. Ich bin ein beschäftigter Mann.»
    «Und trotzdem sind Sie den weiten Weg heraus nach Oxford gekommen, um mich zu sehen. Sie hätten doch anrufen können.»
    «Habe ich ja. Fünfmal – gestern – und vorgestern auch schon zweimal.»
    «Ah, nun ja, da hat der Pförtner wohl versäumt, mich davon zu unterrichten. Einerlei, nun sind Sie ja hier. Womit kann ich dienen?»
    Muir nahm eine Zigarette aus einem Elfenbeinetui und entzündete ein Streichholz. Reed bot er keine an. Nachdem die Zigarette brannte, griff er in seine Manteltasche und zog einen Umschlag aus steifem braunem Papier heraus, den er auf den Kaffeetisch zwischen ihnen warf. «Was halten Sie davon?»
    Reed öffnete den Umschlag, aus dem eine einzelne, auf dünne Pappe aufgezogene Fotografie zum Vorschein kam. Er betrachtete sie blinzelnd, erhob sich dann aus seinem Sessel und ging hinüber zum Schreibtisch an der Wand. Er holte eine dicke Lupe aus der Schublade und hielt sie über das Foto. «Ein Tontäfelchen – oder ein Teil davon, das ist nicht leicht zu erkennen, weil unten im Bild ein schwarzes Band verläuft. Auf der Tafel befindet sich offenbar eine Inschrift, aber das Foto ist zu unscharf, um sie deutlich zu erkennen. Sonst nichts, bis auf eine Armbanduhr, die flach danebenliegt.» Reed legte die Lupe aus der Hand. «Hat das John Pemberton fotografiert?»
    Muir erstarrte leicht. «Warum fragen Sie das?»
    «Habe ich recht?»
    «Kann schon sein. Wieso?»
    Reed tippte auf das Foto. «Die Uhr. Die hat Pemberton immer als Größenmaßstab benutzt, wenn er Fundstücke fotografierte. Möge er in Frieden ruhen.» Nach einem letzten Blick auf das Foto sah er Muir an. «Offenbar haben Sie schon von ihm gehört? Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich für Archäologie interessieren.»
    «Wenn er nicht gerade versunkene Kulturen ausgrub, hat Pemberton für uns gearbeitet.» Die Zigarette war bereits so gut wie verschwunden; Muir schnipste die Kippe in den Kamin. Ein paar vereinzelte Fünkchen stoben auf.
    «Für uns?», hakte Reed nach.
    «Den Militärgeheimdienst. Wir haben ihn vor dem Krieg angeworben – er sollte die Dinge im Auge behalten, für den Fall, dass Hitler Kreta ins Visier nähme.» Zwischen Muirs Lippen wurde bereits die nächste Zigarette dezimiert – immerhin, dachte Reed, trug er etwas zur Beheizung des Zimmers bei. «Das ist selbstverständlich alles vertraulich.»
    «Selbstverständlich.»
    «Wir benutzten Pemberton als Verbindungsmann zu den Einheimischen, um Kontakte herzustellen und
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