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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand
Autoren: Julie Peters
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Natürlich vermisste sie ihn, sogar schmerzlich. Ohne ihn war das Leben in Pembroke stiller, obwohl ihre Freunde sie nicht allein ließen. Kein Tag verging, an dem nicht Mathilda oder Cedric vor der Tür standen, meist mit einem Topf Suppe oder einer Schüssel Salat in der Hand. Sie saßen dann auf der Terrasse und stöhnten über die Hitze. Mit Cedric konnte Amelie über ihr Buch reden. Sie erzählte ihm, worüber sie schrieb, und er übernahm für sie die Recherchen in der Bibliothek, die ihr noch fehlten.
    Jon kam abends immer zu ihr ins Strandhaus, und sie machten lange Spaziergänge, bei denen er ihr von früher erzählte. Nachts träumte sie viel, und manchmal glaubte sie, Erinnerungsfetzen zu erhaschen. Manches war tatsächlich so, wie sie es träumte, bei anderem lachte Jon nur herzlich und bescheinigte ihr eine wahrhaft blühende Phantasie. Doch seine Erzählungen bereicherten sie, obwohl sie sich an die konkreten Ereignisse meist nicht erinnern konnte.
    Für drei Tage flog sie noch mal nach Berlin. Sie schloss das Haus auf, in dem sie mit Michael gelebt hatte, und ging durch die halbdunklen Räume. Michael war auf seiner alljährlichen Sommerreise in die Toskana. Sie hatten sich im Vorfeld darauf geeinigt, dass Amelie ihre Sachen während seiner Abwesenheit holen sollte. So war es ihr lieber. Sie waren zwar nicht im Streit auseinandergegangen, aber im Moment brauchte sie noch ein wenig Abstand von ihm. Später würde sie bestimmt bereit sein, ihm etwas mehr Platz zuzugestehen – auch um des Kindes willen. Sie hatte lange mit Dan darüber gesprochen, und schließlich waren sie übereingekommen, die Antwort auf die Vaterfrage für das Kind auf sich zukommen zu lassen. Michael sollte kein Onkel aus der Ferne sein, sondern durchaus der Vater, der er war. Wie das dann konkret in der Praxis aussähe, würde sich eben irgendwann erweisen. Die Möglichkeiten, auch über die Distanz Kontakt zu halten, waren sehr viel besser als noch vor zehn Jahren.
    Sie stand vor den deckenhohen Bücherregalen im Gartenzimmer. All ihre Fachbücher waren hier versammelt, und sie staunte, wie viel sich da im Laufe der Jahre angesammelt hatte. Von vielen Büchern hatte sie nicht mal mehr gewusst, dass sie sie besaß. Und auf einem der unteren Regalbretter fand sie jenes Buch wieder, das sie vor vielen Jahren ihrer Mutter gestohlen hatte. Das sie all die Jahre behalten hatte, bis es sie zu ihrem eigenen Buch inspirierte. Und das sie schließlich sogar nach Pembroke gebracht und mit ihrer Vergangenheit konfrontiert hatte. Sie musste es bei einem der letzten Aufenthalte in diesem Haus aus der Tasche genommen und auf dem Rückweg vergessen haben.
    Lange hielt sie das Buch in der Hand und dachte nach. Dann steckte sie es in einen Umschlag, schrieb die Adresse ihrer Mutter darauf und legte ihn beiseite.
    Seit sie nach Pembroke zurückgekehrt war, hatte sie von ihrer Mutter nichts mehr gehört. Fast war es ein bisschen so, als sei dieser Faden abgerissen, kaum dass Amelie den Faden mit ihrer walisischen Familie wieder verknüpft hatte. Sie bedauerte es sehr, doch fehlten ihr Kraft und Worte, um diesen Abgrund aus Schweigen zu überwinden, der zwischen ihr und ihrer Mutter lag. Sie vermisste die mütterlichen Ratschläge, gerade jetzt, da sie sich selbst bald der Verantwortung stellen würde, ein Kind aufzuziehen.
    Diana kam, um Amelie beim Packen zu helfen. «Du darfst nicht schwer heben!», beschied sie, kaum dass sie das Haus betreten hatte. Sie hatte Verstärkung mitgebracht.
    «Das ist Emmett», stellte sie ihn vor. «Sprich Englisch mit ihm, das kann er fast so gut wie Schafe züchten.»
    Sie zwinkerte dazu, und Amelie stellte sich Emmett – groß, hager, mit Lachfältchen, grauen Schläfen und mindestens Ende vierzig – als Amy vor.
    «Wer hat hier eigentlich einen Sugardaddy?», flüsterte sie Diana zu, als Emmett gerade die vollbepackten Bücherkisten in den Transporter lud, den sie für die Fahrt nach Wales gemietet hatte.
    «Er ist im Herzen jung geblieben», erklärte Diana würdevoll. «Und Bücherkisten kann er schleppen wie ein Achtzehnjähriger, findest du nicht?»
    Emmett passte so wenig zu ihr wie die raspelkurzen lila Haare. Das dachte Amelie zuerst. Aber dann sah sie, wie Emmett Diana zum Strahlen brachte. Wenn er sprach, klang es wie ein fremder Singsang, sein Englisch war geschliffen.
    «Und ich lerne ihn jetzt gar nicht kennen, deinen Wunderwaliser!», sagte Diana enttäuscht. Sie wollte Amelie zwar nach Pembroke
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