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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand
Autoren: Julie Peters
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begleiten, musste aber schon zwei Tage später wieder zurück. Und Emmett konnte auch nicht ewig bleiben, in Neuseeland begann bald die Lammzeit.
    «Im November komm ich und hol sie zu mir», erklärte er Amelie. Er klang so selbstsicher, dass sie ihn dafür nur bewundern konnte. Diana wurde ein bisschen rot und wandte sich verlegen ab. Es musste sie so richtig erwischt haben, denn sonst hätte sie laut protestiert und ihn schon am nächsten Tag verscheucht.
    Sie brauchten die vollen zwei Tage, um alle Habseligkeiten in Kartons zu verpacken und im Transporter zu verstauen. Amelie bat Emmett, bei der Adresse ihrer Mutter vorbeizufahren. Sie hatte in den letzten beiden Tagen immer wieder versucht, ihre Mutter telefonisch zu erreichen. Aber vermutlich wollte sie einfach nicht mit Amelie sprechen.
    Ob sie auch hart bleiben würde, wenn Amelie vor ihrer Tür stünde? Einen Versuch wäre es wert.
    Sie hielt den Umschlag mit dem Buch an die Brust gepresst, als sie die Treppe emporstieg. Im Flur begegnete sie einer Nachbarin, die ihr flüchtig zulächelte. «Schön, dass Sie mal wieder die Frau Mama besuchen», meinte sie.
    «Ist sie zu Hause?», fragte Amelie.
    «Müsste sie. Vorhin sind ein paar Freundinnen zu Besuch gekommen.»
    Es ging doch nichts über neugierige Nachbarinnen im Haus. Amelie klingelte. Durch die dünne Holztür glaubte sie Schritte zu hören. Doch niemand öffnete.
    Sie klopfte sanft. «Mama? Mama, bist du da?»
    Nichts.
    «Mama …»
    So gut kannte sie ihre Mutter, dass sie wusste, sie würde sich durch herzergreifendes Flehen nicht erweichen lassen.
    «Ich hab dir etwas mitgebracht. Ich leg’s auf die Fußmatte, ja? Und dann gehe ich. Du weißt ja, wo ich bin.»
    Als sie unten im Hausflur stand, meinte sie, das Klappen einer Wohnungstür zu hören. Ihre Mutter wollte nicht mit ihr reden. Es tat weh, so verstoßen zu werden.
    Aber irgendwann, da war sie ganz sicher, würde sich die Gelegenheit für ein klärendes Gespräch ergeben. All das aus der Welt zu räumen, was im Moment zwischen ihnen stand, würde vielleicht nicht gelingen. Aber sie konnten lernen, mit der neuen Situation umzugehen.
    Und insgeheim hegte Amelie die Hoffnung, dass sich damit für ihre Mutter der Weg öffnete, um endlich die Trauer in ihr Leben zu lassen. Sie hatte geglaubt, immer fröhlich sein zu müssen, hatte dem Schmerz keinen Platz einräumen wollen. Jetzt verstand Amelie das ebenso wie ihre eigene, unerklärliche Traurigkeit, die sie so lange begleitet hatte. An Patricks Grab hatte sie endlich einen Ort gefunden, an dem sie spürte, was all die Jahre mit ihr los gewesen war.
    Ihre Trauer begann jetzt. Und sie wünschte sich, nicht allein trauern zu müssen, sondern zusammen mit David – der für sie immer noch einem Vater am nächsten kam –, mit Jon und mit ihrer Mutter.
    Diana drückte mitfühlend ihren Arm, als Amelie zurück in den Transporter stieg. Emmett pfiff munter und lenkte den Wagen geschickt durch den Berliner Stadtverkehr. Diesen Mann konnte offenbar nichts erschüttern. Er kam aus einer Ecke der Welt, in der es mehr Schafe als Menschen gab, nur wenige Straßen, noch weniger Autos. Und dennoch bewältigte er den vierspurigen Verkehr in Richtung Autobahn mit leuchtenden Augen und bewundernswerter Souveränität. So langsam verstand Amelie, was Diana zu ihm hinzog: Er war Diana die Heimat geworden, nach der sie nicht gesucht hatte.
     
    War es in Pembroke in den ersten Augusttagen schon heiß und stickig gewesen, so war es jetzt schier unerträglich. Amelie hätte nicht gedacht, dass es so nah am Meer so drückend und schwül werden konnte. Der Wind, der vom Ozean zum Häuschen wehte, war heiß und klebte auf der Haut. Jede Bewegung wurde zur Qual.
    Und ausgerechnet an so einem Tag kamen sie mit sechzig Umzugskartons hier an!
    Wieder war es Emmett, der sie mit seiner unerschütterlich guten Laune rettete. Unermüdlich schleppte er Kartons ins Haus und stellte sie dort ab, wo Amelie sie haben wollte, und machte zwischendurch nur kurz Pause, um ein Glas Limonade zu trinken. Es hatte sich offenbar schnell herumgesprochen, dass sie zurück war, denn keine zwei Stunden später stand Mathilda mit einem Picknickkorb vor der Tür, aus dem sie allerlei Köstlichkeiten zauberte. «Dein Kühlschrank ist doch bestimmt leer», meinte sie. Amelie war zu erschöpft, um sich zu wehren. Sie hatte das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Diana sortierte die alten Bücher aus, die im Wohnzimmer noch in den Regalen
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