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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand
Autoren: Julie Peters
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gekostet haben musste, wusste Amelie selbst erst seit kurzem aus eigener Erfahrung.
    Aber jetzt durfte sie nicht grübeln. Sie musste schreiben.
    Ausgerechnet in diesem schwachen Moment, kurz bevor sie sich an die Arbeit für diesen Tag machte, fehlte ihr Michael. Er ermutigte sie immer, dieses Buch zu schreiben. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass ein Verlag daran Interesse gezeigt und ihr einen Buchvertrag angeboten hatte. Nur sein steter Zuspruch und die heftigen Debatten, die sie sich Tag für Tag lieferten, hielten sie bei der Stange.
    Sie fuhr den Computer hoch und rief ihre E-Mails ab. Ihre Freundin Diana schrieb eine ellenlange E-Mail darüber, wie schön das Leben in Neuseeland sei, und die nächsten zehn Minuten ließ Amelie sich von ihren Anekdoten ablenken. Dann klickte sie auf «antworten» und wollte gerade zu einer ähnlich langatmigen Antwort ansetzen. Sie hielt inne.
    Eigentlich gab es nicht viel Neues.
    Während Diana am anderen Ende der Welt ein Jahr lang vom Wissenschaftsbetrieb ausspannte, ehe sie sich auf Jobsuche begeben wollte, hatte Amelie direkt nach ihrer Promotion mit dem Schreiben begonnen. Teils, weil sie keine Ahnung hatte, was sie mit ihrem Abschluss als Historikerin anfangen sollte, aber teils auch deshalb, weil sie Spaß an dem hatte, was sie bisher getan hatte.
    Und Michael hatte sie darin bestärkt. Er war der Meinung, dass sie irgendwann eine gute Autorin populärwissenschaftlicher Bücher werden würde. Wenn sie sich mit diesem ersten Projekt einen Namen machte, konnte sie später weitere Bücher schreiben und wäre von festen Arbeitszeiten unabhängig.
    Später. Wenn sie verheiratet wären und Kinder hätten.
    Die Hochzeit war für September geplant.
    Die Kinder, wenn es nach Michael ging, so schnell wie möglich.
    Sie schloss das Mailprogramm. An Diana konnte sie auch heute Abend schreiben, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig war.
    Was jedoch nicht bis heute Abend warten konnte, war die Zubereitung des Essens. Sie hatte Michael für heute Hühnerfrikassee versprochen, und wenn sie nicht bald alle Zutaten in den Crockpot gab, konnten sie nicht um acht essen, wenn er heimkam. Und dass das Essen pünktlich auf dem Tisch stand, war ihm sehr wichtig.
    Seufzend und zugleich erleichtert, den Arbeitsbeginn noch ein wenig hinauszögern zu können, ging Amelie in die Küche. Sie suchte die Zutaten zusammen, schnippelte Hühnchen und Gemüse, gab alles in den Crockpot und schaltete ihn auf niedrigster Stufe ein. Das sollte reichen, wenn sie um acht essen wollten. Im Topf wurde das Frikassee schonend gegart, und am Abend musste sie nur noch Sahne hinzufügen, abschmecken und Reis kochen.
    Wäre das auch erledigt.
    Sie wollte gerade zurück in ihr Arbeitszimmer, als sie die Post auf dem Küchentisch bemerkte. Froh um eine neuerliche Ablenkung nahm sie sich noch eine Tasse Kaffee und ging die Post durch. Der Werbeprospekt eines Möbelhauses. Ein Mobilfunkanbieter warb für billige Auslandstarife. Das war nichts für Amelie. Sie reiste ungern, und ins Ausland schon mal gar nicht. Die Abrechnung der Stadtwerke – eine kleine Nachzahlung drohte. Das konnte sie auf Michaels Schreibtisch legen, er kümmerte sich immer um die finanziellen Angelegenheiten.
    Der letzte Umschlag trug keinen Absender. Sie drehte ihn ratlos hin und her. Adressiert war er an «Amelie Franck, c/o Prof. Michael Thalbach».
    Sie stand seit ihrem Einzug vor anderthalb Jahren auf dem Klingelschild, es gab also keinen Grund, einen solchen Vermerk auf den Umschlag zu schreiben.
    Der Poststempel verriet ihr auch nichts über den Absender. Sie tastete nach dem Brieföffner, schlitzte den Umschlag auf und zog ein einzelnes Blatt Papier heraus. Dabei segelte ein Foto zu Boden.
    Sie faltete den Brief auseinander, las ihn und runzelte verwirrt die Stirn. Sie las noch einmal, was da stand. Dann bückte sie sich, tastete unter dem Tisch nach dem Foto und stieß sich schmerzhaft den Kopf, als sie sich wieder aufrichten wollte.
    Bild – Brief. Bild – Brief.
    Sie konnte es nicht glauben.
    «Das ist doch ein dummer Scherz», murmelte sie.
    Und zugleich wusste sie: Das war kein Scherz. Die Vergangenheit holte sie ein.
    Michaels Vergangenheit.
     
    Sie hatte Michael an der Uni kennengelernt. Sie war ein schüchternes Erstsemester, er der Dozent für den Grundkurs für Neuzeit, den sie belegt hatte. Sie saß in der ersten Reihe und himmelte ihn an. Er trug einen sehr breiten, sehr golden funkelnden Ehering, weshalb sie sich verbot, mehr
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