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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand
Autoren: Julie Peters
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fest an sich und schob sie dann auf Armeslänge von sich. «Möchtest du dich zu uns setzen? Wir besprechen gerade Effi Briest.»
    Wenn Amelie erst anfing, sich an der Diskussion zu beteiligen, würde es schon bald zu einem hässlichen Streit mit ihrer Mutter kommen, die schlicht und einfach immer bei der Analyse der Romane vergaß, sie im Kontext zu sehen. Zum Beispiel berücksichtigte sie nie, dass eine Effi Briest und ein Major Crampas in einer ganz anderen Zeit gelebt hatten – ebenso wie der Autor. Amelie hingegen war diese Herangehensweise als Historikerin in Fleisch und Blut übergegangen.
    «Danke, nein. Ich will eigentlich nur schlafen. Aber ich wünsch euch noch viel Spaß.»
    Irgendwie schaffte sie es, unverbindlich zu lächeln. «Schönen Abend noch», sagte sie.
    «Kind, hast du was gegessen?», rief ihre Mutter. «In der Küche steht Mitternachtssuppe.»
    Eigentlich wollte sie nichts essen. Aber die Vernunft siegte, daher ging Amelie in die Küche, füllte Suppe in eine Schüssel und nahm sich ein Stück frischduftendes, krosses Brot. Sie zog sich ins Gästezimmer zurück und schloss die Tür.
    Endlich Ruhe. Das Lachen und Diskutieren der acht Frauen drang nur noch wie ein Flüstern zu ihr, und sie konnte fast vergessen, dass sie wieder in der Wohnung ihrer Mutter war, im Gästezimmer auch noch, weil ihr altes Kinderzimmer inzwischen einer Bibliothek hatte weichen müssen.
    Sie löffelte die Suppe und aß das Brot. Alles schmeckte pappig, und sie verbrannte sich jämmerlich die Zunge.
    Die Sachen konnte sie morgen auspacken. Nach dem Essen brachte sie das Geschirr in die Küche, ging mit dem Kulturbeutel ins Bad und anschließend zurück in ihr Zimmer. Sie zog sich aus, kroch unter die kalte Bettdecke, die nach fremden Menschen roch, und schloss erschöpft die Augen.
    Wenn sie schon nicht schlafen konnte, wollte sie wenigstens die Welt da draußen ausblenden.
    Das Lachen wurde lauter, die Freundinnen ihrer Mutter brachen auf. Flüstern, Kichern, «Grüß sie schön von uns» und «Sie sah wirklich schlecht aus». Jemand trat versehentlich gegen die Tür, und Amelie fuhr aus dem Halbschlaf auf, in den sie sich mit Mühe versenkt hatte. Dann war alles still.
    «Du bist also weggelaufen.»
    Ihre Mutter stand in der Tür. Verschlafen fuhr Amelie hoch. Es war hell im Zimmer, irgendwann musste sie wohl doch eingeschlafen sein, ohne zu wissen, wann und wie und warum.
    «Mama. Ist schon Morgen?»
    «Halb acht bald. Kaffee? Ich mach uns Frühstück.»
    Schon war sie weg, und Amelie lag einen Moment lang auf dem Rücken und lauschte den Geräuschen in der Wohnung. Dem Klappern in der Küche, dem Zischen und Gurgeln des Boilers. Dann rappelte sie sich auf und schlurfte ins Badezimmer. Ihr taten alle Knochen weh.
    Nach einer Dusche fühlte sie sich nicht unbedingt besser, aber immerhin sah sie sich in der Lage, ihrer Mutter entgegenzutreten. Der Frühstückstisch war üppig gedeckt: frische Brötchen und Croissants vom Bäcker, frischgepresster Orangensaft, Aufschnitt und Käse und selbstgemachte Marmelade. Dazu für jeden ein Ei und eine Schale Obstsalat.
    Amelie hätte lieber Porridge gehabt.
    «Und nun erzähl.»
    Ihre Mutter schenkte Kaffee ein. Amelie zog die Zuckerdose zu sich und schaufelte den Zucker löffelweise in ihren Kaffee.
    «Ich mag nicht erzählen.»
    «Bitte, musst du nicht. Ich kann mir schon denken, was passiert ist.»
    «Ja, wirklich. Kannst du das.»
    «Ach, du bist eben wie deine Mutter. Früher oder später brichst du aus.» Amelies Mutter strahlte. Sie langte über den Tisch und tätschelte Amelies Arm. «Ist doch nicht schlimm. Er war ein netter Kerl, aber ich fand ihn immer schon zu brav für dich.»
    Dabei war sie immer Michaels größter Fan gewesen. Amelie verbiss sich einen giftigen Kommentar.
    Erstaunlich, sie hatte gedacht, nach dem gestrigen Tag und der Mitternachtssuppe könnte sie nie wieder was essen. Aber sie spürte Hunger und griff ordentlich zu.
    «Und was machst du jetzt? Du wirst dir wohl eine eigene Wohnung suchen müssen. Hierbleiben kannst du nicht auf Dauer.»
    «Das hatte ich auch gar nicht vor, Mama.»
    «Ich sag’s nur. Ist nicht bös gemeint.» Ihre Mutter angelte eine Zigarette aus der Schachtel. «Was genau hat er denn diesmal angestellt, dass du mitten in der Nacht die Koffer packst? Oder hat er dich vor dir Tür gesetzt?», fragte sie, die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt und das Feuerzeug in der Hand. «Es ist doch nicht immer noch wegen der alten
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