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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort
Autoren: Fred Vargas
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wiedergekommen.«
    »Zweites Verlassenwerden, das Leben war zerstört.«
    »Eine Art Plog, nicht?«
    »Wenn du so willst.«
    »Dann hat er ›eine hässliche, aber sehr handfeste‹ Frau geheiratet und angefangen, denen, von denen er sich bedroht fühlte, die Füße abzuschneiden. Leuten, die mit einem Zahn geboren worden waren. Auf gut Glück zunächst, das hat er selbst zugegeben. ›Ich war Anfänger, ich habe bestimmt auch harmlosen Menschen die Füße abgeschnitten, sie mögen mir verzeihen. Ich habe ihnen nicht weh getan, sie waren ja schon tot.‹ Und seine Frau hat ihn sehr schnell verlassen. Ein herzloses, letzten Endes abscheuliches Wesen, hat er gesagt.«
    »Was auch stimmt.«
    »Dann aber waren wir in der Villa angekommen, er brauchte nicht mehr auf die Straße zu achten. Da wurde es noch schlimmer, er sprach überhaupt nicht mehr normal. Manchmal flüsterte er, und ich verstand überhaupt nichts, dann wieder brüllte er. Er rammte mir das Messer in die Hand. Er erzählte mir den ganzen Stammbaum der Plogojavic – so heißen sie doch?«
    »Plogojowitz.«
    Zerk würde es nicht leichter fallen als ihm, Wörter zu behalten. In diesem flüchtigen Augenblick hatte Adamsberg das Gefühl, er würde ihn von Grund auf kennen.
    »Okay«, meinte Zerk und senkte den Balken seiner Augenbrauen, genau wie der Vater, wenn er das Garen des Bohneneintopfs überwachte. »Er sprach von ›unmenschlichem Leid‹, er sagte, er hätte niemals getötet, weil diese Wesen keine Menschen wären, sondern Kreaturen aus dem tiefsten Erdenschlund, die das Leben der Menschen zerstörten. Ich hörte nicht immer zu, ich hatte Schmerzen, und ich hatte Angst. Er sagte, es sei seine Aufgabe als großer Arzt, Wunden zu heilen, die Welt von dieser ›schändlichen Bedrohung‹ zu befreien.«
    Adamsberg zog eine Zigarette aus Zerks Schachtel.
    »Wie bist du an meine Telefonnummer gekommen?«
    »Ich hab sie aus Onkel Louis’ Handy gestohlen, in der Zeit, wo er mit dir gearbeitet hat.«
    »Hattest du vor, sie zu benutzen?«
    »Nein. Aber ich fand es nicht normal, dass Louis sie hatte, und ich nicht.«
    »Wie hast du die Nummer gewählt? In der Tasche?«
    »Ich habe sie nicht gewählt. Ich hatte sie gespeichert unter der Ziffer 9. Der letzten der letzten.«
    »Das ist schon mal ein Anfang«, sagte Adamsberg.

48
     
    Émile betrat, auf eine Krücke gestützt, die Brigade. Er meldete sich am Empfang bei Brigadier Gardon, der nicht verstand, was dieser Mann mit seinem Hund wollte. Danglard lief schleppenden Schritts umher, er trug einen hellen Anzug, das war neu und löste Kommentare aus, doch weit weniger als die Nachricht von der Verhaftung Paul de Josselins, des Nachfahren von Arnold Paole, dem die vampiri der Plogojowitz-Familie das Leben zerstört hatten.
    Retancourt, die noch immer das vernunftbestimmte Lager der Positivisten anführte, diskutierte seit dem Morgen mit den Versöhnlern und den Wolkenschauflern, die ihr die Sturheit vorwarfen, mit der sie seit Sonntag die Ermittlung auf einer Schmalspur betrieb, ohne von den vampiri irgendeine Notiz zu nehmen. Wo der Mensch doch alles Mögliche in seinem Kopf haben kann, hatte Mercadet angemerkt. Und sogar Schränke in seinem Bauch, hatte Danglard in Gedanken ergänzt. Kernokian und Froissy standen hart am Abgrund, fast bereit, an die Existenz der vampiri zu glauben, was die Situation noch verschärfte. Und zwar aufgrund der Konservierung der Leichen, die ja ausgiebig beobachtet und historisch dokumentiert worden war, und wer konnte sich das schließlich erklären? In kleinerem Maßstab, doch ebenso leidenschaftlich wiederholte sich in den Räumen der Pariser Brigade criminelle jene Debatte, die das Abendland im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts entflammt hatte, ohne nennenswerten Fortschritt seit dreihundert Jahren.
    Genau dieser Punkt war es nämlich, der die Mitarbeiter der Brigade verunsicherte, das Grausen, das diese »unversehrten, frischroten« Körper auslösten, die aus ihren Öffnungen Blut verströmten und mit einer neuen, straffen Haut überzogen waren, während die alte Hülle und die abgenutzten Nägel auf dem Grund des Grabes lagen. Hier nun kam Danglards Wissen wieder zum Einsatz. Er hatte die Antwort, er wusste, warum und wie die Körper sich so gut erhalten hatten, was im Grunde recht häufig vorkam, und sogar den Schrei des Vampirs , wenn man ihn pfählte, und die Seufzer der Kauer konnte er erklären. Man hatte sich im Kreis um ihn gesetzt, man hing an seinen Lippen,
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